ALFRED PICCAVER#
Im Jahr 1929 soll angeblich jedes Kind in Wien Alfred Piccver kennen. Der am 24. Februar 1884 in Long Sutton bei Spalding, Grafschaft Lincolnshire, England Geborene, kam hierher in seinem lustigen Englisch-deutsch parlierend, hat sich aber hier verblüffend rasch eingelebt und fand hier das Schicksal, Wiener zu werden. Viele Menschen erliegen der sanften wienerischen Luft, auch wenn sie als stahlharte Männer aus dem Westen hierher kamen.
Alfred Piccaver hat eine Wienerin geheiratet, er hat sich in Wien eine schöne Wohnung eingerichtet, er ist trotz vieler Anträge nach Berlin, Nord-und Südamerika in Wien geblieben, er hat schon Familie, und Wiener und Wienerinnen nennen ihn bereits bei einem Diminutivnamen. Höchste Auszeichnung! Er heißt „Picci“.
Populärer kann man auch in dieser Stadt der Popularität nicht mehr sein. Alfred Piccaver hat sich seine Beliebtheit wirklich ersungen. Durch Auftreten und Absagen. Es ist nämlich auch eine Eigentümlichkeit dieser Stadt, dass man hier auch auf dem Weg der Absagen populär werden kann. Wenn es heißt: der oder der hat abgesagt, geht ein bedauerliches „O weh!“ durch die Reihen des Publikums. Aber Alfred Piccaver war bestimmt immer indisponiert, wenn er absagte, er hat diesen Trick der Berühmtheit gar nicht gekannt. Seine Stimme ist so schön, so berühmt, hat so viel Durchschlagskraft in die Gegend der Frauenherzen, dass er allen Ruhm dieser strahlenden Tenorstimme verdankt.
Durchschreitet man sein Heim auf einem der eleganten Plätze der Wieden, überraschen Fantasie und Geschmack, die Alfred Piccaver umgeben. Er liebt die schwere Pracht der Renaissance, einzelne Räume sind ganz in Renaissance gehalten. Das große Speisezimmer ist im englischen Stil, im Schlafraum fällt ein wunderbar geschnitztes Renaissance-Bett auf, ein Prunkstück besonderer Art. An den Wänden überall kostbare Bilder, gute Kunstgegenstände sind überall in der Wohnung verteilt. Das Musikzimmer mit dem kostbaren Flügel, bildet den Mittelpunkt der Wohnung. Hier ist der Arbeitsraum des Künstlers, hier studiert er mit seinem Korrepetitor eine Reihe der Partien, die er in Wien neu sang. Und hier sitzt er jetzt auch mit seinem kleinen Sohn, dessen Kinderhände zum ersten Mal die Tasten des Klaviers berühren.
QUELLE: Die Bühne, 1929 H 217, S 42, daraus die Bilder, ANNO Österreichische Nationalbibliothek
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