ANTON WILDGANS#
Heutiger Stand (Jänner 1930) der Burgtheater Direktionsfrage: Anton Wildgans setzt sich in verschiedenen Wiener Blättern mit der Möglichkeit seiner Berufung auseinander und erklärt, dass offiziell noch kein Schritt unternommen wurde, der ihn aufgefordert hätte, die Direktion des Burgtheaters zu übernehmen. Das mit offiziell und inoffiziell ist eine eigene Sache. Es kann zum Beispiel ein entscheidender Faktor an Wildgans die Frage richten: „Wollen Sie Direktor des Burgtheaters werden? Aber bitte, die Sache einstweilen inoffiziell zu behandeln und über meine Anfrage strengstes Stillschweigen zu bewahren“.
Dass also keine offizielle, sondern nur eine inoffizielle Anfrage an Wildgans ergangen ist, würde nichts ausmachen. Schwerer fällt ins Gewicht, dass sich Anton Wildgans über seinen Gesundheitszustand beklagt, und durchscheinen lässt, dass er in seiner augenblicklichen Krankheit die Lasten eines Burgtheaterdirektors, schwer werde übernehmen können.
Es wird daher, wie wir hören, der Plan erwogen, für Wildgans die Stellung eines literarischen Mitdirektors des Burgtheaters zu kreieren, dessen Stimme für die Repertoirebildung entscheidend ist, eines künstlerischen Konsulenten, der quasi den geistigen Leiter des Theaters darstellt. Ihm soll ein erster Regisseur beigegeben werden und für diese Stellung denkt man an dem Darmstädter Intendanten Karl Ebert, der schon seit einer Woche in der Liste der Burgtheaterkandidaten figuriert.
Karl Ebert war früher im Staatlichen Schauspielhaus in Berlin als Heldendarsteller tätig und sollte Ende November in der Erstaufführung der „Räuber“ im Neuen Wiener Schauspielhaus hier als Karl Moor gastieren. Karl Ebert war damals in Wien, aber da die Premiere der „Räuber“ verschoben wurde, kam das Gastspiel nicht zustande.
Ebert ist seit einigen Jahren Intendant in Darmstadt, doch fühlt er sich in seiner augenblicklichen Stellung nicht wohl. Man geht nicht fehl, wenn man annimmt, dass er einer Berufung an das Burgtheater in irgendeiner Form Folge leisten würde. Für ihn würde die gute Kenntnis der Theaterverhältnisse in Deutschland sprechen, Er steht seit langer Zeit draußen im Betrieb, weiß also über das Schauspielermaterial und über die dramatische Produktion, die für das Burgtheater in Betracht kommen, einigermaßen Bescheid.
In Schauspielerkreisen des Burgtheaters ist man weder von einer Direktion Wildgans noch von einer solchen Doppeldirektion begeistert. Die Mehrzahl der Schauspieler steht auf dem Standpunkt, da die Direktion Herterich bis Ende der Saison währt, hätte man genug Zeit, mit der Ernennung des neuen Burgtheaterdirektors zu warten, so lange zu warten bis der richtige Mann gefunden ist. Einer Direktion Wildgans, auch wenn ihr ein erster Regisseur beigegeben wird, prophezeit man im Burgtheater keine allzu lange Dauer. Bestimmend für die Meinung der Schauspieler ist der Umstand, dass die Direktion Anton Wildgans die Wiederholung eines Experiments wäre, das schon einmal von wenig Glück begleitet war.
Als die Schauspieler gegen Hofrat Herterich auftraten, dachten sie, dass als Nachfolger Hofrat Herterich ein jüngerer Theatermann in Betracht komme, der neue Initiative, neue Ideen in den zum Teil eingerosteten Betrieb der Staatstheater bringe. Die Neubesetzung des Burgtheaters von Grund auf bringen. Im jetzigen Stand der Nachfolgerfrage sehen die Schauspieler keine „Vorteile für das Theater und damit für ihre Zukunft und Entwicklung.“
QUELLE: Die Stunde, Radio Wien, 17. Mai 1925,ANNO Österreichische Nationalbibliothek
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