AUTORENNEN DER DAMEN#
1923: Das Autorennen der Damen, veranstaltet von der Wiener sportlichen Herrenfahrervereinigung, das gestern Vormittag beim Lusthaus gefahren wurde, hat sowohl bei den Teilnehmerinnen wie Publikum eine Sensation ausgelöst. Mit 65 Nennungen ist es zum größten Rennen seiner Art in der gesamten Welt geworden. An den Start gingen dann nur 51, trotz allem übertraf es die Teilnehmerzahl in New York die bloß mit 25 Damen vorlieb nehmen mussten. Ganz unerwartet stark war der Zustrom der Zuschauer obwohl der Beginn für 9 Uhr 30 angesetzt war, ergossen sich die Besuchermassen bereits um 7 Uhr morgens in den Prater.
Die Rennleitung hatte anscheinend nur auf einen ganz kleinen Kreis von Interessenten gerechnet, so dass die Vorbereitungen für den Massenandrang gänzlich unzureichend waren. Die ersten Ankömmlinge okkupierten, obwohl sie nur im Besitz von Stehkarten waren, die wenigen vorhandenen Stühle, so dass die später eintreffenden Eigentümer von Sesselplaques ihre Plätze besetzt fanden. Es bedurfte der ganzen Energie der musterhaft arbeitenden Polizei in diesem Chaos wenigstens einigermaßen die Ruhe aufrecht zu erhalten. Dicht gedrängt standen die Massen am Startplatz beim Lusthaus längst der 1,7 Kilometer langen Rennstrecke entlang der Hauptallee und beim Ziel, und selbst auf den Bäumen gab es eine große Anzahl von Zuschauern.
In dem den Festgästen zugedachten Raum, der allerdings auch sehr bald von Neugierigen gestürmt wurde, sah man die Anordnungen zahlreicher sportlicher Vereinigungen, darunter den Vizepräsidenten des Automobilklubs Rudolf van der Straaten, sehr viele Mitglieder der ehemaligen Hocharistokratie, Sportleute und bekannte Künstler. Der Beginn des Rennens verzögerte sich um ungefähr einer halben Stunde. Erst gegen 10 Uhr wurde das weiße Startband gespannt, ein reizender silbergrauer Sportwagen mit seiner noch reizenderen Fahrerin, Frau Pia Steidtner, fuhr als Erste vor, Kinooperateure und Fotografen stürzten sich auf das wehrlose Opfer, dann zählte der Starter fünf, vier, drei, zwei.eins, die weiße Fahne senkte sich, und schon ging der Motor an und wie aus der Pistole geschossen sauste der kleine Wagen unter stürmischen Beifallskundgebungen der Zuschauer über die kurze Strecke, In Pausen von ungefähr fünf Minuten folgte dann ein Wagen dem anderen, jeder von seiner Lenkerin und einem sie begleitenden Herrn besetzt. Ab und zu gab es einen störrischen Motor, oder eine aufgeregte Chauffeuse, die in der Hitze des Gefechtes ihre Aufgabe vergessen hatte? Eine Dame gefiel sich darin, ihren Wagen vom Begleiter bis zum Start führen zu lassen und erst dort einzusteigen, eine andere ließ etwas zu früh den Motor an, so dass sie sich die scherzhaften Zurufe „Schwindlerin“ gefallen lassen und noch einmal von vorn beginnen musste. Kam aber eine Fahrerin glatt ab, so konnte sie der beifälligen Zurufe ebenso sicher sein, wie die „Patzerin“ der spöttischen Bemerkungen.
Resultate erfuhr man beim Lusthaus nicht. Die wurden erst in der Krieau verkündet, wo anschließend an das Rennen eine Schönheitskonkurrenz der Wagen und ihrer Fahrerinnen stattfand. Es ergab ein ganz außerordentlich hübsches Bild, wie die schmucken Wagen mit ihren meist in Pelz, Leder oder bunter Wolle gekleideten Lenkerinnen stramm ausgerichtet auf der abgesperrten, großen Wiese vor der Krieau standen. Während die Juroren, denen das Urteil über die Schönheit der Wagen zustand, der Maler Dier und Feistauer und Frau Architekt Fraß, noch prüfend hin und wider gingen, erschien plötzlich ein Lobeerkranz mit weißen Schleifen, auf dem mit Gold das Wort „Sieger“ prangte, über einem Motor. Frau Olga Frühwald, die glückliche Gewinnerin der Klasse D, mit mit 54 Sekunden die beste Zeit erzielte, eine Dame, die seit zwölf Jahren chauffiert, in England diesen Sport erlernte und den Wagen, den sie zum Sieg führte.vorher bloß zweimal trainiert hatte, nahm ihren Erfolg mit ziemlicher Seelenruhe auf. Sie lachte nur und versicherte, dass ihre Nerven sie nie verlassen, sonst hätte sie es kaum fertig gebracht, schon beim Bahnviadukt hundert Kilometer und vor dem Ziel hundertzwanzig Kilometer Schnelligkeit zu erreichen. Auf den Schönheitspreis aspirierte sie nicht, stolz zeigte sie vielmehr ihre alte, treue, geliebte, aber gewiss nicht sensationell prunkvolle Lederdress; eine sporting lady, wie man sie sich vorstellt. Auch Frau Anna Günther.Redlich, die Siegerin der Kategorie C, eine bekannte Wiener „Herren“Chauffeuse, fand es selbstverständlich dass den Kühler ihres Wagens der Siegerlorbeer schmückte. Die beiden Damen fuhren übrigens ebenso wie die Siegerin der Kategorie B. Frau Irene Hesch, nicht ihre eigenen Wagen, sondern Autos, die ihnen als berühmt guten Lenkerinnen von ersten Automobilfabriken zur Verfügung gestellt worden wären. Nur die Preisträgerin der Kategorie A, Frau Gisa Kandl hat in ihrem eigenen kleinen Sportwagen gesiegt. Die kleine Frau hatte zum Training die Strecke Budapest – Wien, noch dazu bei strömendem Regen gewählt und war mit Recht ungemein stolz darauf, mit ihrem schwachen Wagen nur um vier Zehntelsekunden mehr Zeit als die Siegerin der nächsten Kategorie zur Überwindung der Rennstrecke gebraucht zu haben. Auch sie die wegen ihrer gelben Wolldress von ihren Mitkonkurrentinnen ahnungsvoll „die gelbe Gefahr“ genannt worden war, hatte nur den sportlichen Sieg angestrebt.
Die übrigen Damen zeigten sich glücklich über die Schönheitspreise. Erfreulich war, dass die ganze Veranstaltung weder durch einen Unfall noch andere Störungen getrübt wurde. Nach dem großen Erfolg kann man wohl damit rechnen, dass dieses Damen Autorennen zur ständigen Einrichtung werden wird.
QUELLEN: Neues Wiener Journal, 29. Oktober 1923, S 2, Das interessante Blatt, 8. November 1923, S 4, Bilder, Wiener Salonblatt, 24. November 1923, S 9, Bild, ANNO Österreichische Nationalbibliothek.
https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Historisches_von_Graupp