DAS MUSTERGUT#

Musterkuh
Bella

Einige Minuten vom Spital am Semmering entfernt, liegt der kleine Ort Jauern, der durch das Gut unseres Bundespräsidenten Dr. Michael Hainisch in den letzten Jahren eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. Zwei annähernd gleich große Grundparzellen, von denen sich die eine am Abhang der Kampalpe, die andere an dem des Stuhleck befindet, bilden mit ihren 652 Hektar Acker, Wiesen, Weiden, Gärten und Wälder das Mustergut des Bundespräsidenten.

Als ganz junger Doktor kam der jetzige Gutsherr nach Jauern und kaufte dort, von den Bauern scheel angesehen, ein paar armselige Keuschen. Es war nicht viel, was damals seinen Besitz bildete. Einige verwilderte Berghalden, futterarme Weiden und ein paar halbzerfallene Gehöfte. Hier begann er nun zu wirtschaften, rang mit dem Boden und führte einen nicht minderen Kampf mit der Ignoranz der Bevölkerung.

Nach dreißigjähriger, rastloser Tätigkeit und zähem Ausharren war der Erfolg da; ein kluges, rationelles Wirtschaftssystem hat das Gut des Bundespräsidenten zu einem für alle Güter Österreichs vorbildlichen Musterbetrieb gemacht.

Bundespräsident Hainisch ließ es sich vor allem angelegen sein, die Milch ergiebigsten Rinderrassen auf seinem Gut einzustellen. Im Lauf der Jahre wurden verschiedene Rassen erprobt und seit etwa zehn Jahren blieb man schließlich bei den dunklen Montafoner Kühen aus Vorarlberg, die sich für Gegenden mit Weidebetrieb bekanntlich ganz vorzüglich eignen. Die Montafoner Kühe sind sehr milchreich, aber auch die Ochsen entsprechen durchaus allen Anforderungen. Der Erfolg dieser Rasse blieb nicht aus, denn unter den Kühen auf dem Gut des Bundespräsidenten befindet sich „Bella“, die berühmte österreichische Musterkuh, die längere Zeit hindurch im Tag 36 Liter Milch gab! Ein Erträgnis das nirgends sonst in Österreich erreicht wurde.

Man hat „Bella“ selbstverständlich auch dementsprechend geehrt. Sie wurde unzählige Male fotografiert und ausgezeichnet und frißt dabei noch heute voller Bescheidenheit ihr Futter, während eine silberne Ehrenglocke dazu ihr melodisches Geläute gibt.

Der Viehbestand auf dem Gut des Bundespräsidenten beträgt derzeit 165 Stück, davon sind 2 Stiere, 72 Kühe, 12 Ochsen und 79 Jungvieh und Kälber, außerdem stehen auf Gut Jauern noch Schweine und Schafe, sowie 6 Pferde. Was die Milchproduktion betrifft, so lieferten die 61 Kühe, die unter der Kontrolle des Kontrollvereins für alpenländischen Braunviehstand stehen, vom 1. Mai 1925 bis 30. April 1926 4113 Kilo (3985 Liter) 3.9 Prozent Fettgehalt, das tägliche Melken ergibt im Tag durchschnittlich 7.9 Liter Milch pro Kuh. Die Kuh „Bella“ gibt derzeit 32 Liter täglich.

Bundespräsident Hainisch legt bei seiner Rinderzucht den größten Wert nicht etwa nur auf Hebung der Leistung, sondern auch auf Festigung der Konstitution, der die größte Sorgfalt zugewendet wird. Während der Weideperiode vom Mai bis Ende Oktober bleiben die Kühe 16 bis 18 Stunden täglich im Freien und bringen auch die Nacht auf den Weideflächen zu. Sie befinden sich dabei überaus wohl und ertragen selbst Temperaturen bis zu 0 Grad ohne weitere.

Die schwierigste Aufgabe war es seit jeher, das Winterfutter für eine so reiche Viehzahl herbei zu schaffen. Aber auch hier wurde überaus rationell vorgegangen, Sumpfwiesen wurden durch Drainagen entwässert und Wiesen mit schlechtem Gras mit vierzehn verschiedenen Edelgräsern neu besät. Für den mangelnden Stalldünger schaffte eine ausgezeichnete Jauchenanlage Ersatz. Zur Jauchenverdüngung kommt noch Kunstdünger hinzu und außer riesigen Mengen von Thomasmehl wird auch Kali und Kainit verwendet. Auf diese Weise ist es möglich, den Ertrag der Wiesen und Äcker eventuell zu verdreifachen. Es gibt Wiesen, die hundert Meterzentner Heu per Hektar liefern.

So ist es möglich, dass jede Kuh im Winter gegen fünfzehn Kilo Heu täglich erhält. Das Winterfutter besteht außerdem noch aus Haferstroh und ein paar Kilo Kokoskuchen und Rübenschnitten.

Auch für die Wartung der Tiere ist aufs beste gesorgt. Sie werden nicht in großen Hofstallungen, sondern in kleineren Ställen gehalten, die überaus gut gelüftet sind und durch die eine Wasserleitung führt. Die Tiere werden jährlich vom Tierarzt untersucht und dabei der Tuberkulinprobe nach neuesten deutschen Methoden unterzogen. Die wenigen der Tuberkulose verdächtigen Tiere werden sofort abgesondert und sodann abgestoßen.

Die Gutsverwaltung Jauern hat für ihre Milch fast den ganzen Semmering zur Kundschaft. In den fashionablen Hotels in den Wintersportquartieren, in jedem Gast- und Kaffeehaus und in jeder Villa trinkt man die Milch und isst man das Schlagobers des Bundespräsidenten.

Auch Schlagrahm mit 40 Prozent Fettgehalt, sowie Kaffeeobers, saure Milch, Yoghurt, Sauerrahm und Topfen werden in großen Mengen erzeugt,

Zu dem Gut des Bundespräsidenten gehören auch 885 Joch Wald, die auf den steilen Lehnen des Tales fast gänzlich neu aufgeforstet wurden. Da die landwirtschaftlich benutzten Flächen in 800 und 1100 Meter Seehöhe liegen und das Klima ziemlich rauh und feucht ist, ist der Getreidebau hier begreiflicherweise sehr schwierig und man hat dabei aus gutem Grund den ganzen Betrieb auf Weidenwirtschaft und Wiesenbau eingestellt. Während des Krieges wurden freilich größere Flächen mit Getreide bebaut, aber jetzt werden nur noch Hafer und Kartoffeln für den Eigengebrauch gebaut und eine Parzelle mit Winterroggen bestellt. Der größte Teil der Fläche dient aber, wie schon erwähnt, als Weide, die durch Drahtzäune in einzelne Koppeln abgeteilt ist.

Dreißig Jahre war in Jauern zäher Wille, Energie und kluges Können am Werk und in dreißig Jahren wurde unter den schwierigsten Verhältnissen und auf wenig ertragreichen Boden ein landwirtschaftliches Mustergut geschaffen, das in Österreich seinesgleichen sucht. „Bella“, die preisgekrönte Musterkuh, ist das Symbol des Erfolges, der die harte Arbeit lohnte!

QUELLE:Neuigkeitsweltblatt der ÖNB

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