DIE NARKOSE#

Wien
Narkosegerät

Für uns ist die Narkose bei einer Operation alltäglich geworden und niemand ahnt , dass sie vor 175 Jahren erstmals Verwendung fand.

Es war am 16. Oktober 1846, dass Thomas Georg Morton, Zahnarzt und Chirurg aus Philadelphia im Massachusetts General Hospital in Boston eine Operation durchzuführen hatte wo zum ersten Mal die Äthernarkose zur Verwendung kam.

Am 21. Dezember desselben Jahres nahm Robert Liston in London eine Amputation in Äthernarkose vor.

In Frankreich entbrannte über das aus Amerika stammende Verfahren der Schmerzstillung eine heftige Diskussion und eine „Commission de l'ether“ eingesetzt, um das neue Wagnis näher zu untersuchen. Auch in Deutschland wie auch in Österreich verhielt man sich dieser Neuentdeckung reservierter, bis die „Augsburger Allgemeine Zeitung“ am 10. Jänner 1847 folgende Meldung brachte: „Mehrere Londoner Blätter, auch die Medical Review berichten über eine von Nordamerika eingeführte und von England mehrfach mit Erfolg angewandte neue Entdeckung eines Mittels, chirurgische Operationen, große wie kleine, schmerzlos durchführen zu können. Es handelt sich nicht etwa um magnetische Einschläferung des Patienten, sondern dieser wird durch Einatmen von Schwefeläther mittels eines besonderen Apparates in den Zustand von Unempfindlichkeit versetzt und die Operation, egal ob Zahnziehung, oder Amputation eines Gliedes, wie die Exstirpation eines Geschwürs, geht vorbei wie im Traum“

Professor Franz Schulz, der Vorstand der zweiten chirurgischen Klinik in Wien, der Vorgänger Theodor Billroths, begann mit Versuchen an Hunden, dann an gesunden Menschen, um sich von der Ungefährlichkeit des Äthers zu überzeugen und operierte schließlich am 27. Jänner einen Kranken in Äthernarkose – mit großem Erfolg. Nun griffen Wiener Chirurgen ebenfalls dieses segensreiche Verfahren auf und Hoftierarzt Seifert teilte mit, dass er Narkosen an kranken wie auch gesunden Tieren öffentlich in Gegenwart höchster und hoher Herrschaften und eines zahlreichen Auditoriums von Kunstfreunden im Hofstallgebäude vor dem Burgtor an k. k. Hofpferden vorgenommen habe.

Dozent Dr. Fischer berichtet in der „Wiener klinischen Wochenschrift“ über weitere Versuche des Hoftierarztes: Das Fleisch eines narkotisierten und dann geschlachteten Ochsen behielt noch nach zwei Tagen Hängen an der Luft den intensiven Äther Geruch; die von einem narkotisierten Tier gewonnene Milch verlor auch nach fünf Tagen nicht den Äther Geschmack.

Dem neuen ärztlichen Hilfsmittel wurde besonders auch vom normalen Publikum reges Interesse entgegen gebracht und Berichte in den Tagesblättern ständig verfolgt. In der „Wiener Zeitung“ berichtete schon am 1. Februar 1847 G. Koepl, Assistent an der II. Chirurgischen Klinik, über die Schuh Versuche und Operationen, am 9. Februar C. Rzehaczek, Assistent der I. Chirurgischen Klinik, über die Erfahrungen Waitmanns, am 11. Februar L. J. Keller über die im Bezirkskrankenhaus Wieden vorgenommenen Narkosen, am 12. Februar Krouser über die der vierten chirurgischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses Professor Sigmund. Es folgte am 16. Februar ein Bericht aus dem Kinderspital des Dr. L. Mauthner, am 7. März ein solcher über zahnärztliche Narkosen von J. Weigert. Auch die „Gegenwart“, ein politisch-literarisches Tagblatt, brachte am 19. Februar einen Artikel über das „Einatmen der Schwefelätherdämpfe“ von R. Weinberger

Aus all den Angeführten kann man ersehen, wie rege die Anteilnahme der Ärzte und des Publikums war, wie überraschend schnell sich die Narkose in Wien durchgesetzt und wie man nicht mehr auf sie verzichten wollte.

Die kritiklose Begeisterung für die Narkose sollte nicht lange anhalten, denn in der „Wiener Zeitung“ vom 24, März 1847 wurde eine warnende Stimme vernommen die „gegen die rücksichtslose Anwendung des Äthers bei chirurgischen Operationen“, Der Chemiker Prof. Dr. A. M. Pleischl wies auf Gefahren der Narkose hin und findet in moralischer Hinsicht die Narkose „des Mannes unwürdig.“

Im Jahr 1847 ist es vorerst mit dem Ätherrummel vorbei, es war so weit gegangen, dass sich Gesunde aus bloßer Neugierde narkotisieren ließen.

Der berühmte englische Geburtshelfer Sir James Young Simpson versuchte am 19. Jänner 1847 die Äthernarkose bei einer Entbindung und empfahl später das Chloroform. Im Jahr 1847 wandte er das stärker wirkende Mittel ebenfalls bei einer Entbindung an und kämpfte seither gegen Ärzte und Theologen für die schmerzfreien Entbindungen.

Simpson der bekannte Geburtshelfer stand der Königin Victoria bei der Entbindung ihres neunten Kindes bei und verabreichte ihr Chloroform.

Neue Untersuchungen lehren, dass der amerikanische Zahnarzt Morton nicht der erste war, der eine Operation, dabei handelte es sich um einen kariösen Zahn, in Äthernarkose vorgenommen. Bereits im Jahr 1842 hat ein amerikanischer Arzt, C. W. Long mehrere Operationen in Narkose durchführte. Long blieb zu unbekannt, hatte keine Erfahrungen sich damit an die Öffentlichkeit zu wenden und Ruhm zu ernten. Horace Wells, Zahnarzt in Hartford, hat gleichfalls Narkosen in seinem Fach vorgenommen, und hauptsächlich Stickstoffoxydul verwendet. Er hat seinem Freund Morton angeregt, weitere Versuche mit anästhesierenden Mitteln zu unternehmen. Morton war eben der erste der sein Verfahren in die Öffentlichkeit brachte und die Medizin davon Kenntnis bekam.

Witzblätter wussten gleichfalls mit Äther etwas anzufangen und ein Londoner empfahl 1847, den Schwefeläther im Parlament anzuwenden, um gewisse unliebsame Maßregeln durchzudrücken aber auch Parteien zu Kochfleisch zu zerhacken, ohne den Mitgliedern wehe zu tun. Noch besser wäre es, so der Witzige, jedes Mitglied mit einer Ätherblase zu versehen, falls einer der vielen langweiligen Gesellen im Haus eine Rede halte. Wenn Oberst Sibthorp rede oder Peter Borthwick, so würde dann das Haus aussehen wie eine Reihe von Droschken. Wo jeder Gaul seinen Hafersack anhängen hat.

Zur Jubiläumsstimmung der Narkose, einer der größten Wohltaten für alle Leidenden der Welt, mag es beitragen, dass Dozent Dr Gohrhandt von der Chirurgischen Klinik den Ärzten den Rat gibt, sich des Eau de Cologne-Zusatz zu dem Narkotikum zu bedienen, um dem Patienten damit das Einschlafen fast Beschwerde los zu machen und ihm die unangenehme Erinnerung an den Beginn der Narkose zu nehmen.

Schon seit dem Altertum waren die Ärzte bemüht, die Schrecken des Schmerzes zu bannen, oder wenigstens zu lindern

Die alten Assyrer komprimierten bei der rituellen Operation die Blutgefäße des Halses, wodurch man faktisch Bewußt- und einen geringen Grad von Empfindungslosigkeit hervorrufen kann. Die Griechen und Römer lösten zu diesem Zweck den sogenannten Stein von Memphis in Essig auf, wodurch sich Kohlensäure bildete, oder bedienten sich eines Absudes der Allraun-Wurzel; Die Chinesen hatten ein berauschendes Getränk – Ma-yo; es wird in einem chirurgischen Werk - Kon-i-Tong – aus dem 16. Jahrhundert erwähnt. Im Mittelalter hatten die verschiedenen medizinischen Schulen in Salerno, Montpellier ihre Geheimmittel. In neuer Zeit versuchte man den Brechweinstein, verschiedene Präparate von Canabis indica, das durch das Buch „Der Graf von Monte Christo“ berühmt wurde. Haschisch ist ein solches im Orient viel gebrauchtes, besser ausgedrückt missbrauchtes Hanf-Präparat. Tollkirsche, Wasserschierling, den Aderlass sowie den ominösen „tierischen Magnetismus“ All diese Mitteln zeigten sich ungenügend und eventuell sogar lebensgefährlich.

Doch da erklang ein Zauberwort: Narkose, narkotisch, wie üblich aus dem Griechischen narka, der Zitterrochen dessen elektrische Schläge betäubend wirken des Äthers und Chloroforms, damit beginnt eine neue Ära in der Medizin.

Im Jahr 1846 wurde der Zahnarzt Morton in Boston durch seinen Freund den Geologen und Chemiker Dr. C. F. Jackson, der einige Zeit in Wien studierte, auf den Äther aufmerksam gemacht, Schwefeläther, auch unter Hoffmann Tropfen bekannt, ein Gemisch aus Äther und Weingeist. Morton verwendete ihn sofort in seiner Praxis mit dem größten Erfolg. Professor Warren in Boston nahm am 14. Oktober 1846 die erste größere Operation in der Äther-Narkose vor. Das war dort ein denkwürdiges Ereignis und erregte ein riesiges Aufsehen. Bald darauf am 10. November 1847 machte Simpson in Edinburgh der anwesenden ärztlichen Gesellschaft die Mitteilung, er habe ein Mittel entdeckt, das besser wirke als der Äther; das Chloroform. Beide Mittel traten nun in der Ärztewelt ihren Siegeszug an. Der verstorbene Professor der Chirurgie in Wien Franz Schuh war der erste der mit Narkose operierte, am 27. Jänner 1847.

Der geistige Zustand des Kranken während der Narkose ist verschieden und individuell, manche scheinen aus einem tiefen Schlaf zu erwachen. Anderen geht es nach solchen Operationen schlecht, denn sie vertragen die Narkose oft nicht und müssen sich ständig übergeben.

Die erste Operation die Baron Dumreicher in Wien mit Äther Narkose ausführte, war eine Unterschenkel Amputation. Der Kranke verfolgte alles unter ständigem Lachen, als er zu sich kam wusste er von nichts. Es gibt Menschen die leicht zu narkotisieren sind, andere wieder überhaupt nicht.

Die Narkose schützt nicht nur vor dem Schmerz, dem Operateur wird dadurch auch die Arbeit erleichtert, er kann in Ruhe und in einer bestimmten Zeit seine technischen Anforderungen, die Operation mit größter Sorgfalt durchführen und zu Ende bringen. Der Laie kann sich kaum eine Vorstellung davon machen, welche Genauigkeit so manche Operationen erfordert, bei Luxationen und Behandlung bei Unterleibsbrüchen leistet die Narkose vorzügliche Dienste. Dank der Narkose konnte einem Mann gleichzeitig 16 Zähne gezogen werden.

Dem Erfinder der Chloroform Narkose, Sir James Simpson, wurden von seinen eigenen bibelfesten Landsleuten Vorwürfe gemacht denn wie lautet der Spruch des Herrn: „In Scherzen sollst du gebären“ würde durch die Chloroform Inhalation vereitelt. Die Antwort Simpson war, dass selbst Gott Adam in Trance versetzte als er ihm die Rippe entnahm.

Nicht für alle war die Narkose ein Segen, denn es gab auch Todesfälle. Nach Verabreichung der Narkose sind in nur wenigen Sekunden manche Kranke tot gewesen, oder der Tod kam schleichend und machte die Hoffnung die man hatte zunichte. Trotz allem überwogen die schmerzlosen Vorteile die Unannehmlichkeiten. Außerdem verbesserte sich auch die Zusammensetzung von Äther und Chloroform, der Geruch nach Äther wurden ebenfalls gemildert. Mit der Zeit erwachen die Operierten größtenteils aus heiteren Traumbildern sehr froh und fühlen sich sogleich im Besitz ihrer Muskelkraft.

Menschen die mehrmals operiert werden mussten vertrugen Chloroform bis zu dreimal, doch dann war Vorsicht geboten, die Anzahl der Unglücksfälle durch Chloroform die in letzter Zeit bevorzugt wurde, häuften sich.

Ein Berichterstatter der „Augsburger allgemeinen Zeitung“ war der Meinung, dass, das Chloroform den Äther bereits verdrängt hätte.“ Von dem konnte allerdings keine Rede sein.

Der Zahnarzt Dr. H. Th. Hillischer in Wien bediente sich im Jahr 1889 einer anderen Art von Narkose für seine Patienten, ein Gemenge von Lustgas und Sauerstoff und bewahrt die beiden Gasarten getrennt auf. Das Verhältnis der Mischung besteht aus 88 Prozent Lustgas und 12 Prozent Sauerstoff.

Im Vorjahr bot Dr. Hillischer dem Rudolfinerhaus seine Apparate für Schlafgasnarkose an , die gerne angenommen wurden.

Im Wiener allgemeinen Krankenhaus wurde eine Mischung von Äther, Chloroform und Weingeist gemischt. Hofrat Billroth empfahl folgendes Verhältnis 3 Gewichtsteile Chloroform, 1 Äther und 1 Weingeist. Um die Schmerzen welche einige Stunden nach der Operation auftreten und den Kranken sehr quälen, verabreicht man ihm Morphium.

Im Jänner 1879 bevorzugten die Ärzte Coats, Ramsay und Mekendrick die Stoffe Chloroform, Äther, Methylenbichlorid, Isobutylchlorid und Acthylendichlorid. Dann gab es noch das Lust oder Lach-Gas; Stickoxydul, das wurde aus London in Flaschen in 100 bis 600 Liter Inhalt bezogen.

1892 kamen weitere Narkosen hinzu, wie Amylen oder sein anderer Name Pental das bereits 1864 bekannt war und nicht mehr Verwendung fand, erst jetzt wieder als Amylenhydrat hergestellt wird.

In der Versuchsreihe von Dr. Gleich wird Bromäthyl auch für Pentalnarkosen verwendet. Die Narkose dauerte so lange, dem Patienten die Dämpfe des Pentals zugeführt wurden. Nach Entfernung der Maske erwachen die Patienten von 1 ½ bis 5 Minuten wieder das volle Bewusstsein. Die kürzeste Narkose dauert 40 Sekunden, die längste 31 Minuten.

Die Angst vor der Narkose wird bei manchen Menschen immer sein oder bleiben. Obwohl die Narkose ihren einstigen Schrecken fast verloren hat und nur große Operationen unter Vollnarkose vorgenommen, werden inzwischen einzelne Körperpartien mit Lokalanästhetika behandelt.

QUELLEN: Das kleine Blatt, 23. April 1928, S 8, Wiener klinische Wochenschrift 21. Jänner 1892, S 6, 8. August 1889, S 1, Neue Ill Zeitung 19. Oktober 1879, S 10, Österr. Zuschauer, 14. Jänner 1848, S 4. ANNO Österreichische Nationalbibliothek

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