DIE NORDKETTE#
Kein Bewohner einer Landeshauptstadt Österreichs hat die Möglichkeit, das eindrucksvolle Erlebnis einer Gipfelatmosphäre in 2.334 Meter Höhe in so kurzer Zeit zu erreichen wie die Bewohner von Innsbruck.
1927: Bei der vor kurzem durchgeführten Trassen- und Stationsrevision wurde bekanntlich einstimmig der Beschluss gefasst, die geplante Hafelekarbahn vom Hungerburgboden aus über eine Zwischenstation bei den Seegruben auf das Hafelekar zu führen. Nachdem damit die Trasse endgültig festgelegt ist, konnte der Innsbrucker Gemeinderat in seiner gestrigen Sitzung den Beschluss fassen, die bekannte Innsbrucker Baufirma Innerebner und Mayer mit den weiteren Vorarbeiten und der Ausarbeitung eines Detailprojektes zu beauftragen. Über die geplante Ausführung der Bahn können wir im Nachstehenden folgendes mitteilen:
Die Talstation ist westlich der Bergstation der Hungerburgbahn auf Kote 866 projektiert. Ein Zufahrtsweg von etwa 100 Meter Länge wird die Verbindung zwischen den beiden Stationen herstellen. Die im Bau befindliche Höhenstraße Hötting - Hungerburg – Mühlau verläuft längs der Talseite der Anfangsstation der Schwebebahn. Von hier führt die Bahn gegen die Mitte der Seegruben, wo die obere Station des ersten Abschnittes in der Höhe von 1905 Metern in Lawinen geschützter Lage auf leicht bebaubarem Gelände geplant ist. Die Bahnlänge zwischen Hungerburg und der Seegrubenstation beträgt 2810 Meter, der Höhenunterschied 1039 Meter. Vier Zwischenstützen sind vorgesehen.
Die Anlage der Zwischenstation in der Seegrube mit ihrer ungefähr 25 Meter tiefen Mulde bietet große Vorteile. Der Platz für die Seilbahnstation ist auf der der Seegrubenmulde vorgelagerten Graskuppe gegeben. Die Talstation liegt windgeschützt gegen die rauen Nordstürme. Die vorzügliche Gelegenheit, in den Seegruben Höhensonnenbäder anlegen zu können, ist ein von Innsbrucker Ärzten wiederholt angeregter Gedanke. Die Talnebel steigen nicht höher als bis 1600 Meter und die Wolken hängen selten über 2000 Meter herab.
Die Station in der Seegrube wird so angelegt, dass sie die Talstation des zweiten Abschnittes organisch angegliedert werden kann. Die zweite Teilstrecke führt in einer Spannweite bis zum Sattel zwischen der Hafelekar- und Seegrubenspitze in einer Höhe von 2261 Meter die Bergstation des zweiten Abschnittes errichtet wird. Die Bahnlänge beträgt 773 Meter, Höhenunterschied 356 Meter.
Auf der Strecke Hungerburg - Seegrube ist die Fahrgeschwindigkeit mit 3.6 Meter in der Sekunde und ein Fassungsraum für 23 Fahrgäste vorgesehen. Dasselbe gilt auch für die Strecke Seegruben – Hafelekar. Die reine Fahrzeit wird 23 Minuten betragen.
Die Seilbahn wird als Pendellinie eingerichtet, entweder nach der Bauart Bleichert-Zuegg, die in Österreich bei der Zugspitzbahn, der Raxalpbahn und der Pfänderbahn angewendet wurde, oder nach Bisnicka, wie bei der Hahnenkammbahn.
Der Antrieb der unteren Bahnsektion wird in der Bergstation Seegrube erfolgen, der für die obere Sektion entweder in der Station Seegrube oder in der Bergstation. Die Erste hätte den Vorteil die Antriebe beider Sektionen in der Seegrube zu vereinen.
Auf dem Hafelekar befindet sich etwa 40 Meter unterhalb des Kammes auf der Nordseite eine Quelle, die gefasst werden und deren Wasser mittels eines Pumpwerkes bis zur Bergstation gehoben werden muss, und mit einer Rohrleitung zur Seegrube geleitet. Vielleicht ist aber auch in der Seegrube Wasser zu erschließen. In der gleichen Höhenlage wie die Seegrube,jedoch westlich, am sogenannten Brauneck, sprudelt eine ergiebige Quelle die Eigentum des Schlossbesitzers Nißl ist. Auch sie könnte für die Wasserversorgung herangezogen werden.
Als Bauzeit wird für den ersten Abschnitt Hungerburg – Seegrube ein Jahr vorgesehen. Nach der Finanzierung durch die Stadt Innsbruck und nach der Durchführung der politischen Kommission wird mit dem Bau dieses Abschnittes noch in diesem Jahr begonnen werden.
Der zweite Abschnitt, von der Seegrube bis Hafelekar kann erst nach Vollendung und Inbetriebsetzung der ersten Sektion begonnen werden, Ein bequemer Fußsteig von der Seegrube bis zum Kamm würde vorerst die Verbindung herstellen. Der Bau des zweiten Abschnittes ist in einer Bausaison durchzuführen.
Für den Transport der Baustoffe und mechanischen Ausrüstung der Bahn zur Anfangsstation diene die Hungerburgbahn und anschließenden Wege und weiter von einer Hilfsseilbahn unterstützt werden.
Es wird wohl kaum eine zweite Stadt in Europa geben, von deren verbautem Gebiet aus in ungefähr einer halben Stunde eine 1700 Meter hohe Auffahrt auf eine Meereshöhe von 2231 Meter in hochalpines Gebiet möglich ist. Die Hafelekarbahn erschließt zudem eines der schönsten Gebiete Nordtirols das Karwendel.
Von der Zwischenstation Seegrube kann man eine Reihe von schönen Gipfeln im Grate westwärts des Hafelekars, oder den Frau Hittsattel erreichen.
Die Nordkettenbahn wird eine große Zugkraft auf das Reisepublikum ausüben. Bereits bieten verschiedene Geldinstitute des In- und Auslandes ihre Dienste für die Finanzierung des Unternehmens an, woraus zu ersehen ist, dass auch auswärts die Überzeugung besteht, dass es sich um ein sehr rentables Unternehmen handelt. Die Stadt Innsbruck wird darauf stolz sein dürfen, eine solche Bergbahnanlage zu besitzen.
Kaum war die Nordkettenbahn eröffnet strömten auch die Menschen herbei um die neue Errungenschaft von Innsbruck kennen zu lernen.
Im Juli 1928 fand über Einladung des Seilbahnausschusses der Stadt Innsbruck eine Besichtigung der Nordkettenbahn durch zahlreiche Vertreter der in- und ausländischen Presse statt. Die Fahrt mit der Nordkettenbahn vermittelte den Eingeladenen unauslöschliche Eindrücke. Besonders über die baukünstlerische Leistungen des Architekten Franz Baumann zeigte man sich begeistert. Anschließend wurde die Gesellschaft zur Patscherkofelbahn gebracht.
Man hat nun eingesehen, dass die Nordkettenbahn neben ihrer eminenten Bedeutung für den Fremdenverkehr Nordtirols im allgemeinen und den Innsbrucks im besonderen, auch den Bergsteigern bedeutende Vorteile bringt, weit abgelegene Berggebiete nun leicht erreichbar wurden. Auch die Innsbrucker selbst konnten ihre Hausbergkette nun mühelos besuchen.
1929: Die Nordkettenbahn hat sich trotz der erst kurzen Zeit ihres Bestehens zu einer der wichtigsten Gebirgsbahnen entwickelt und in der Beförderung von Passagieren geradezu einen Rekord aufgestellt, denn innerhalb von 8 Monaten wurden 100.000 Menschen auf das Hafelekar befördert. Gerade die einzigartige bauliche Lösung ihrer drei Bauten, der Talstation, Mittelstation Seegrube und Höhenstation Hafelekar finden überall nur Anerkennung, denn die Anlage ist wirklich gelungen und man kann die Innsbrucker darum nur beneiden.
1930 hat die Betriebsleitung der Nordkettenbahn dem Seilbahnausschuss des Gemeinderates eine Statistik über die alpinen Unglücksfälle im Bereich der Bahn seit Mai 1929 überreicht.
Unfälle deren gab es genug, schon aus Anlass von Gewitter verirrten sie sich die Menschen, oder sie rutschten auf dem Felsen aus, da sie nicht nicht gut ausgerüstet waren, brachen ein usw. Der Pächter des Restaurants Hafelekar Jakob Wolf musste sehr oft nach Verunglückten Ausschau halten und erste Hilfe leisten, darum hatte die Gemeinde ihm ein in herzlichen Worten gehaltenes Dankschreiben zukommen lassen
QUELLEN: Allgemeiner Tiroler Anzeiger 21. Juli 1928, S 5, 25. Oktober 1930, S 8, Innsbrucker Nachrichten, 30. April 1927, S 4, Zeitschrift der Baumeister , 1929 Ausgabe 16, S 8, ANNO Österreichische Nationalbibliothek
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