FORTBILDUNGSSCHULE#

Bild 'Festsaaltrakt'

Die Arbeiter Zeitung berichtete am 18. November 1926 nicht ohne Stolz über die Eröffnung der Fortbildungsschule, die am Sonntag stattfinden sollte:

„Am Sonntag wird in der Hütteldorfer Straße die zweite gewerbliche Fortbildungsschule eröffnet. Das erste Fortbildungsschulgebäude erwies sich für Wien viel zu klein und viele Gewerbe mussten in ihren Fortbildungsschulen immer noch auf den systematischen Lehrwerkstättenunterricht verzichten, da es an den notwendigen Werkstättenräumen fehlte. Der Fortbildungsschulrat in Wien, dem die Sorge für die schulmäßige, berufliche Ausbildung der arbeitenden Jugend in Gewerbe und Industrie anvertraut ist, strebte deshalb schon lange nach einem zweiten großen Fortbildungsschulgebäude mit den erforderlichen Lehrwerkstätten. Er fand dabei die kraftvolle Unterstützung der Gemeinde Wien. Sie überließ ihm zunächst den größten Teil des Volksschulgebäudes in der Sonnenuhrgasse, wo der Fortbildungsschulrat schon im Jahr 1924 eine moderne gewerbliche Fortbildungsschule für Juweliere, Gold- und Silberschmiede und Graveure mit musterhaft ausgestatteten Lehrwerkstätten und einem eigenen Laboratorium einrichten konnte. Aber erst als im Jahr 1924 die Gemeinde dem Fortbildungsschulrat den großen sehr günstig gelegenen Bauplatz auf der Schmelz überließ und im neu geschaffenen Bau- und Eirichtungsfonds des Fortbildungsschulrates die Mittel für einen Neubau gewonnen wurden, konnte an eine größere Lösung des Fortbildungsschul Problems geschritten werden. So erstand in sechzehn Monaten das neue Gebäude für die zweite Wiener gewerbliche Fortbildungsschule in der Hütteldorfer Straße 1, nach den prächtigen Plänen der Architekten Josef Hofbauer und Wilhelm Baumgarten.

In der zweiten Wiener gewerblichen Fortbildungsschule sollen vor allem die Lehrlinge der holzverarbeitenden Industrie zur Ergänzung der Meisterlehre ihre theoretische und schulmäßige praktischen Ausbildung erhalten; soweit Raum gewonnen werden konnte, wurden auch für andere Gewerbe Lehrräume und Werkstätten eingegliedert. Dementsprechend wurde der Bau angelegt, und das neue Gebäude stellt schon seiner äußeren Erscheinung noch die Vereinigung einer großen Schule mit einer großen Fabrik dar. Es zerfällt deutlich in einen Schultrakt und einen Werkstättentrakt.

Schule
Aula

Bei dem Bau und der Errichtung der neuen Schule ließ sich der Fortbildungsschulrat von zwei Hauptgrundsätzen leiten: Die Schule soll mit ihren Lehrwerksälen und Werkstätten die günstigsten Vorbedingungen schaffen, damit die Schüler in der kurzen Unterrichtszeit von acht Stunden in der Woche die bestmögliche theoretische und praktische Ausbildung für ihr Gewerbe erhalten können; die Schule soll so ausgestaltet sein, dass für die Gesundheit der Schüler soweit als möglich vorgesorgt ist und dass schon die ganze Einrichtung und Ausstattung auf die Schüler erziehlich wirkt.

Um den ersten Grundsatz zu entsprechen, wurden die Lehrsäle mit allen Behelfen ausgestattet, Physik- und Chemiesaal mit Räumen zu praktischen Übungen eingerichtet und die Werkstätten nicht bloß mit Handwerkzeugen reichlich versehen, sondern auch mit den modernsten Maschinen ausgerüstet. Die Maschinenhalle der Tischler und die Werkstättenhalle der Zimmerer weisen Holzbearbeitungsmaschinen der modernsten Typen auf, wie man sie selten in einem Wiener Betrieb findet. Einzelne Maschinen sind die ersten die in der Industrie überhaupt in Betrieb genommen werden. Der Fortbildungsschulrat ging dabei von der Erwägung aus, dass in unserem Produktionsprozess die Großindustrie immer größere Bedeutung gewinnt und die arbeitende Jugend daher nicht nur für das Gewerbe, sondern sehr wesentlich auch für die Industrie und die Arbeit an der Maschine ausgebildet werden müsse. Dazu soll in der neuen Fortbildungsschule Gelegenheit geboten werden.

Dem zweiten Grundsatz entsprechend war der Fortbildungsschulrat beim Bau des zweiten Schulgebäudes darauf bedacht, dass es nicht nur praktisch gestaltet sei, sondern auch durch Schönheit wirke. Wenn die Schüler das Gebäude betreten, soll der Eindruck den sie gewinnen in ihnen Ehrfurcht vor dem Raum erwecken.

Selbstverständlich wurde auch allen Anforderungen der modernen Schulhygiene Rechnung getragen. Während in alten Schulgebäuden an den Auslaufhähnen der Wandbrunnen häufig blecherne Trinkgefäße befestigt waren; bei deren Benützung leicht Infektionskrankheiten übertragen werden konnten, sind auf den Gängen dieses neuen Schulgebäudes Trinkspringbrunnen angebracht, die jede Infektion unmöglich machen. Die Spucknäpfe auf den Gängen haben ständig fließendes Wasser, so dass sie leicht gereinigt werden können. Um jegliche Staubansammlung, die eine ständige Infektionsquelle bildet, zu verhüten, haben die Gänge und sämtliche Räume anschließend an den Linoleumbelag des Fußbodens Hohlkehlen aus Steinholz. Die Kästen in den Lehrräumen stehen durchwegs auf Betonsockeln, die ebenfalls durch Hohlkehlen aus Steinholz abgetrennt sind. Dieselben Hohlkehlen weisen auch die Podien der Klassenzimmer auf. Um das Ansammeln von Staub, Speiseresten usw. auf oder hinter den Kästen zu vermeiden, sind die Kästen oben durch dachförmige Aufsätze und gegen die Wand zu durch Leisten abgeschlossen. Damit der Staub bei den Reinigungsarbeiten nicht aufgewirbelt werde, werden vor dem Kehren mit Öl getränkte Sägespäne aufgestreut, die den Staub binden. Neben jedem Lehrzimmer befindet sich ein eigener Garderoberaum mit Waschgelegenheiten und sperrbarer eiserner Garderobeabteilung für jeden Schüler. Bei den Werkstätten, wo nach der Arbeit Waschen mit warmem Wasser notwendig ist, haben die Waschbecken neben der Kaltwasser- auch eine Warmwasserleitung. Die einzelnen Garderobekästen sind fortlaufend nummeriert und jeder Schüler erhält das Kästchen zugewiesen, das seiner Katalognummer entspricht. Reißbrett, Reißschiene und Dreieck und was sonst dem Lehrling von der Schule zugewiesen wird, ist mit eingebrannten Nummern versehen, so dass eine Kontrolle bei etwaigen Beschädigungen leicht möglich ist. So wirken schon die Einrichtungen auf die Schüler, dass sie Reinlichkeit und Ordnung halten.

Das neue Fortbildungsschulgebäude hat auch eine Schulküche und einen Speise- und Erholungsraum, wo sich die Schüler während der Mittagsstunden aufhalten und ein billiges Mittagessen einnehmen können. Es ist auch gesorgt, dass sie sich mitgebrachtes Essen aufwärmen können. Speise- und Erholungsraum sind hübsch ausgestattet, damit sich die Schüler in ihnen wohl fühlen und während der Mittagspause lieber im Schulgebäude verbleiben, als sich auf der Straße oder in Gasthäusern herumzutreiben. Das zweite gewerbliche Fortbildungsschulgebäude beherbergt auch ein Lehrlingsheim für 96 Lehrlinge. Es ist nach denselben Grundsätzen geschaffen wie das ganze Schulgebäude: zweckmäßig und schön.

QUELLE: Arbeiter Zeitung und Bilder ÖNB

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