GESCHICHTE DER STAATSKANZLEI#
MINISTERIUM DES ÄUSSERENDie aus den Zeiten Maximilians I., übernommene verwaltungsrechtliche Gemeinschaft zwischen dem Römischen Reich deutscher Nation und den österreichischen Erblanden hat bis in den Anfang der Regierungszeit Kaiser Ferdinand II., gedauert. Dieser erst errichtete und zwar zu Beginn des Jahres 1620, zur Verwaltung der österreichischen Angelegenheiten eine selbständige, von der Reichskanzlei völlig unabhängige österreichische Hofkanzlei.
Aus einer Kanzlei zu einem Amt, das ist aus einer die Konzepts- und Schreibgeschäfte des Monarchen, des Geheimen Rates und zum Teil des Hofrates besorgenden Stelle zu einer kollegial organisierten Beschlussbehörde wurde die österreichische Hofkanzlei im Jahr 1654, ohne übrigens damit ihren Namen zu ändern. Mit der Bedeutung, die sie durch jene Umwandlung gewann, wuchsen ihre Kompetenz und ihre Geschäftstätigkeit; schon in den nächsten Jahrzehnten erfüllt sie in ausgebreiteter Wirksamkeit die Aufgaben eines Ministeriums des Regentenhauses und des Äußern, eines Ministeriums des Innern und der Justiz und eines Obersten Gerichtshofes. Von ihren vier oder fünf Referendaren hatte der älteste die Angelegenheiten des Regentenhauses zu besorgen. Die diplomatischen Korrespondenzen mit den kaiserlichen Missionen im Ausland fielen allerdings nur zu einem Teil in ihren Bereich. Denn die Expeditionen nach der Türkei und nach Russland erließ der Hofkriegsrat, die nach Polen der schlesische Referent der böhmischen Hofkanzlei; Frankreich, England, Holland, Schweden, Dänemark und Italien wurden von der lateinischen Expedition, das Deutsche Reich von der deutschen Expedition der Reichshofkanzlei versehen. So blieben bei der österreichischen Hofkanzlei zunächst nur die Expeditionen nach Venedig, die der innerösterreichische Referent, die Expeditionen nach der Schweiz und nach Graubünden, die der oberösterreichische Referent dieser Kanzlei besorgte; für die spanische Korrespondenz hatte sie einen eigenen Referenten.
Einerseits die Fülle der Aufgaben, die solcherart auf der österreichischen Hofkanzlei lastete, anderseits die Zersplitterung der auswärtigen Korrespondenz, nötigten im Beginne des XVIII. Jahrhunderts zu neuen Organisationen. Unmittelbar nach seinem Regierungsantritt setzte Kaiser Joseph I., eine solche ins Werk, indem er im Juni 1705 für die im übrigen ungeteilt bleibende österreichische Hofkanzlei zwei Hofkanzler ernannte, von denen der eine die oberste Verwaltung der „Politica“, der andere - in Stellung und Würde völlig gleich mit jenem – die der „Juridica“ zu führen berufen war. Wenn auch die auswärtigen Geschäfte seit dem Ende des XVII. Jahrhunderts zu größerer Konzentration – und zwar gerade in der österreichischen Hofkanzlei - gediehen waren, so hatte doch die Verwaltungsreform des Jahres 1705 ihre Vereinigung in einer Hand immer noch nicht vollzogen. Die völlige Zusammenfassung des auswärtigen Dienstes ist Zweck und Erfolg einer zweiten Organisation, die Kaiser Karl VI., fünfzehn Jahre später ins Leben führte.
Das Jahr 1720 kann man nicht mit Unrecht als das Geburtsjahr des österreichisch-ungarischen Ministeriums des Äußern bezeichnen, denn von da an gibt es, wenn auch noch kein besonderes Amt, so doch eine besonderen Minister für den auswärtigen Dienst. Zwei Hofkanzler sind auch von nun an, wie seit 1705, an die Spitze der österreichischen Hofkanzlei gestellt; aber ihre Kompetenzen sind andere geworden: zufolge der Instruktion vom 26. März hat der erste Hofkanzler die „Haus- und Staats-Sachen“, der zweite die „Provincialia“ und „Judicialia“, die inneren Angelegenheiten unter sich. Der Teil der Hofkanzlei, der dem ersten Hofkanzler zugewiesen ist, wird schon damals in offiziellen Aktenstücken als Staatskanzler, der erste Hofkanzler als Staatskanzler bezeichnet.
Eine selbständige, den übrigen Zentralbehörden koordinierte Hofstelle ist aus dem auswärtigen Departement der österreichischen Hofkanzlei erst unter Maria Theresia geworden. Am 14. Februar 1742 reskribierte die Königin an den Grafen Ulfeld, an die Staatskanzlei und deren Subordinierte: „Sie habe des Dienstes befunden, ihre Staatskanzlei von der österreichischen Hofkanzlei abzusondern, mithin bei der ersteren ein besonderes Capo in des Grafen Ulfeld Person mit dem Titel eines Hofkanzlers anzusetzen, damit derselbe allein die auswärtigen Geschäfte und geheimen Haussachen besorge, wogegen der österreichischen, der böhmischen und der ungarischen Hofkanzlei allein die Provincialia und was dahin gehörig ist, zugewiesen sein sollen.“
Unter Ulfelds Nachfolger, dem großen Staatskanzler Kaunitz, hat die Hof- und Staatskanzlei eine Festigung ihres Bestandes und ihrer Einrichtungen erfahren, die von ihr die mannigfaltigen Wandlungen fern hielt, denen die inneren Verwaltungsbehörden von der Mitte des vorigen bis in den Beginn des laufenden Jahrhunderts so vielfach unterworfen waren. Es fehlte auch nicht an Erweiterungen ihre Amtsbereiches. Sehr bald wurden ihr die levantinischen Konsuln unterstellt, während die außerlevantinischen in höherer Instanz unter der Kommerzhofkommission standen. Im Jahr 1762 ward der Oberleitung des Staatskanzlers das 1749 von Maria Theresia unter dem Namen eines Archives ihres Hauses gegründete Institut untergeordnet, das seither seine Bestimmung erweitert und den Namen des Haus-, Hof- und Staatsarchives erhalten hat. Auch die 1754 von der Kaiserin gegründete Akademie der morgenländischen Sprachen, wurde der Staatskanzlei unterstellt. Nur vorübergehend war dagegen die im Jahr 1757 vollzogene Einverleibung des italienischen und des niederländischen Rates; sie wurde mit dem Verlust der Besitzungen gegenstandslos, denen die Tätigkeit dieser Kollegien gegolten hatte.
Die selbständige Stellung der Staatskanzlei erfuhr eine kurze Unterbrechung, als im September 1800 die Oberleitung dieser Stelle dem Kabinettminister Grafen Colloredo übertragen wurde, während die unmittelbare Leitung und die Besorgung der Geschäfte ein Staatsvizekanzler Graf Ludwig Cobenzl führte. Die enge Verbindung, in die außerdem die auswärtigen Geschäfte mit dem am 31. August 1801 errichteten Staats- und Konferenzministerium gesetzt wurden, indem sie Staatskanzlei eines seiner drei Departements zu bilden hatte, scheint sich noch vor der Aufhebung dieses Ministeriums 7. Juni 1808, wahrscheinlich mit dem Rücktritt des Kabinetts- und Konferenzministers Grafen Colloredo, Ende November 1805, gelöst zu haben. Von da an steht die Staatskanzlei wieder unmittelbar unter dem Monarchen.
Als nach den Märzereignissen des Jahres 1848 in der österreichischen Zentralverwaltung an die Stelle des Kollegialsystems die monokratische Form des Ministerialsystems trat, erhielt die Geheime Haus-, Hof- und Staatskanzlei den Namen eines Ministeriums des Äußern und des kaiserlichen Hauses, 17. März 1848. Der Wirkungskreis desselben, insbesondere insoweit er sich auf die Angelegenheiten des kaiserlichen Hauses erstreckt, wurde durch die A. h. Erschließung vom 12. April 1852 bestimmt, der aus neuer Zeit noch die vom 20. November 1893 anzureihen ist. Auf Grunder der – A. h. Entschließung vom 12. September 1859 ging die Zentralleitung des gesamten Konsulatswesens auf dieses Ministerium über.
Durch das österreichische Gesetz vom 21. Dezember 1867 und den ungarischen Gesetzartikel XII vom Jahr 1867, womit die beiden Teilen der österreichisch-ungarischen Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten geregelt wurden, sind die auswärtigen Angelegenheiten mit Einschluss der diplomatischen ud kommerziellen Vertretung dem Ausland gegenüber, sowie die hinsichtlich der internationalen Verträge etwa notwendigen Verfügungen als gemeinsame Angelegenheit erklärt worden. Seiter fungiert das Ministerium des Äußern als gemeinsames Ministerium. Als solchem ist ihm mit A. h. Entschließung vom 29. Jänner 1869 die Bezeichnung „kaiserlich und königlich“ beigelegt.
Durch das am 4. Oktober 1895 an den Minister des kaiserlichen Hauses und des Äußern erlassene A. h. Handschreiben wurde verfügt, dass der Minister des kaiserlichen Hauses von nun an den Titel eines Minister des kaiserlichen und königlichen Hauses zu führen habe, dass diese Bezeichnung fortan in den betreffenden Ausfertigungen zur Anwendung komme und auch bei der Benennung des Ministeriums seinen Ausdruck finde. Demgemäß heißt dieses seither: „Kaiserliches und königliches Ministerium des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äußern.“
QUELLE: Jahrbuch des k. u. k., auswärtigen Dienstes 1911
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