JOSEF POPPER#

In der Österreichischen Frauenrundschau: Allgemeine Nährpflicht als wirtschaftliches Frauenproblem (1925)

In unserer Stadt lebte ein Mann, Josef Popper-Linkeus, der ein Wirtschaftssystem erdacht hatte, welches präzise, bis in die kleinsten Details berechnet, alle Möglichkeiten der Evolutionen im Lebensgetriebe erfasst. Josef Popper hat 40 Jahre seines Lebens damit verbracht, einen Plan für ein Gemeinschaftswesen zu konstruieren, welches jedem Menschen von der Geburt bis zum Tod das Notwendige für eine gesunde Lebenshaltung sichern kann. Seine Gedanken legte er in einem 800 Seiten starken Buch nieder, das den Titel trägt: „Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage.“

Dieses Werk bietet eine so klar berechnete Aufstellung aller Notwendigkeiten zur Durchführung des Planes, dass bei wirklich genauer und aufmerksamer Lektüre fast alle Einwendungen widerlegt werden. Vor Kurzem erschien auch eine zweite Auflage des Buches, die zufolge Kürzungen im polemischen Teil nur halb so umfangreich ist.

Es sei nur ganz kurz skizziert, was die „Allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage“ allen Menschen bietet und wie die „Allgemeine Nährpflicht“ ganz automatisch den Interessen der Frauen besonders gerecht wird.

Le „Allgemeine Nährpflicht“ sichert die Existenz aller Menschen ausnahms- und bedingungslos von der Geburt bis zum Tod, d. h., jeder Mensch wird mit allem, was nach den Gesetzen der Psychologie und Hygiene notwendig ist (Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Hilfe und Krankenpflege), versehen, u. zw., schritthaltend mit den kulturellen, bezw., technischen Errungenschaften der Zeit. Demzufolge wird die Technik im Wohnungswesen, in den Verkehrsmitteln, im Haushalt usw., überall zur Verwendung gebracht werden müssen, nicht wie jetzt, wo in einem Haushalt jede Bequemlichkeit herrscht und daneben Rückstände wie vor hundert Jahren.

Um diese gerechte Verteilung aller fundamentalen Güter zu ermöglichen, wird jeder Staatsbürger dazu verhalten, eine Zeit in der Nährarmee, die alle die Minimumgüter herzustellen und zu erarbeiten hat, zu dienen, u. zw., die Männer von ihrem 18. bis zu ihrem 25. Lebensjahr. Aus dieser für die Frauen wesentlich niedriger gestellten Arbeitsforderung – wie aus den Ziffern 8 : 13 hervorgeht – ersieht man wie selbstverständlich Josef Popper Rücksicht genommen hat auf die physiologische Eigenart der Frau, die ja in dem heutigen Wirtschaftssystem unter der Doppelbelastung von Mutterschaft und Beruf zusammenbrechen muss. Diese Arbeitspflicht kollidiert durchaus nicht mit der Entfaltung der Persönlichkeit, wenn man in Betracht zieht, dass die tägliche Arbeitszeit in der Nährarmee maximal 7 Stunden betragen wird, bei voller Unbekümmertheit der Existenz, wodurch viel eher als gegenwärtig Zeit zu einem beliebigen Studium übrig bleibt, sei es auf wirtschaftlichem oder künstlerischem Gebiete.

Weiters ist zu beachten, dass man vom 14. bis zum 18. Jahr vier fruchtbare Jahre hat, während welcher keinerlei Erwerbsarbeit notwendig ist, die also ganz und ausschließlich der Vorbereitung für einen künftigen Beruf oder Lehrzeit zur Vorbereitung für die künftige Dienstpflicht in der Nährarmee verwendet werden können.

Aber selbst angenommen, dass nicht alles den Wünschen der vornehmlich ästhetisch gerichteten Idealisten entsprechen wird, so muss doch zugegeben werden, dass die Berufswahl frei von den Kämpfen und Schwierigkeiten, die das Los der großen Masse in der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung sind, bleibt. Die Einwände werden deshalb hauptsächlich von denjenigen gemacht, die eben von diesen Kämpfen keine Ahnung haben. Bei einzelnen Berufen, die technische Ausbildung in relativ jungen Jahren verlangen (Musiker, Maler usw.) ist es statthaft, dass die Dienstzeit auf die Hälfte der Stundenzahl herabgesetzt werde, allerdings muss der Betreffende doppelt so lange dienen.

Bei der Wahl der Arbeitskräfte kann keine drakonische Strenge herrschen, da man die körperliche und geistige Eigenart und die Anlagen der Menschen im Interesse des Ganzen wie des Einzelnen berücksichtigen muss, um Werte für die Gesamtheit zu schaffen.

Alles im Gebiete des Notwendigen wird in natura geboten, die Geldwirtschaft dabei vollkommen ausgeschaltet. Der Geldverkehr wird sich auf die freie Privatwirtschaft oder auf die Staatswirtschaft für kulturelle Dinge beschränken. Es erübrigt sich beinahe, darauf hinzuweisen, dass eine Welle der Beruhigung alle Menschen erfassen wird und wie dieses unruhige Hasten, das nur dem Gewinn und dem Speichern von Gütern gilt, einfach wegfallen wird, weil ja die Existenz aller gesichert ist und der Sinn auf Erwerb mehr einem Spiel als einem Kampf gleich kommt. Für den ethisch Empfindenden wird es ein Aufatmen bedeuten, bei allen seinen Handlungen den gegenwärtigen Gewaltstandpunkt, den er heute einnehmen muss, um überhaupt leben zu können, ruhig aufgeben zu können. Außerdem bleibt dem Ehrgeizigen oder dem nach höherem Luxus Strebenden die freie Privatwirtschaft für seinen Tätigkeitsdrang offen. Es ist keineswegs zu befürchten, dass, weil alle mehr oder weniger auch manuell tätig sein werden, die höheren geistigen Berufe in minderen Ansehen stehen werden; ganz im Gegenteil: eine Gesellschaft, die zur Grundlage die Gesittung der Menschen hat, wird gerade die Männer und Frauen solcher Berufe ganz besonders schätzen, wenn sie auch daran festhalten muss, dass jeder seiner Arbeitspflicht genügt.

Gerade auf die Gelehrten und die Männer der Wissenschaft, deren Großteil heute unter den allerschwersten Bedingungen arbeiten muss, wird die absolute Sicherung der Existenz befruchtend wirken und sie werden trotz der Arbeitspflicht viel mehr Zeit und vor allem die nötige Ruhe für ihre Studien und Forschungen finden und es werden geistige Arbeiten entstehen, die die heutige wirtschaftliche Not verhindert hat. Wie sehr dies gerade bei der Frau zur Auswirkung kommen wird, braucht nicht erst hervorgehoben werden. Wenn die Menschen einmal so weit sein werden, ohne Vorurteil ihr eigenes Interesse zu erkennen, dann werden sie sich der Kulturnotwendigkeit nicht mehr verschließen, die die „Allgmeine Nährpflicht“ darstellt. Diese Kulturforderung wird in die weitesten Kreisen dringen, denn sie ist von keiner Parteischranke gehemmt, sie wendet sich auch an keine Klassen, sondern an gesicherte und ungesicherte Existenzen! Die Ersten die das begreifen sollten, müssen die Mütter sein, denn wo es um das Wohl ihrer Kinder geht, muss der Scharfblick und das Urteil einer Mutter so weit gereift sein, um das positiv Gute und Wertvolle von Scheinidealen zu unterscheiden, so zwar, dass die Mutter ihren Trost in dem Gedanken finden wird, für ihre Kinder das Recht auf Leben in ethischer Reinheit begründet zu wissen, statt auf irgend einen fantastischen Luxus, der auf Kosten innerer Qualität geht und trotzdem keine absolute Sicherheit in sich birgt.

Popper-Lynkeus, der von Beruf Ingenieur war, ein genialer Konstrukteur und Erfinder, war als Schriftsteller ungemein schöpferisch. Seine Werke zeigen seinen ganzen geistigen Werdegang und durch sie wird erst der Mensch und Geistesriese offenbar. Wegen Raummangels ist es hier nicht möglich, auf die schriftstellerische Tätigkeit Poppers näher einzugehen, doch kann die Lektüre seiner Werke jedem ethisch empfindenden Menschen nicht warm genug empfohlen werden. (Fanny Groß-Gondos, ÖNB).

HINWEIS:

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