KAISERIN ELISABETH-HAUS #

Becher
Kaiserin Elisabeth Haus

Der Becher ist ein isolierter Felsgipfel, welcher sich mit einer Höhe gegen 3200 Meter zwischen den mächtigen Eisströmen des Üblentalferners und des hängenden Ferners himmelwärts erhebt. Vom Sterzinger Moos oder vom Ridnauntal aus gesehen, erscheint der Becher wie eine dunkle Felspyramide, welche die ganze südliche Stubaier Gruppe beherrscht, während er in Wirklichkeit von einem Halbkranz allerdings nur 2 bis 300 Meter höherer Eisgipfel umgeben und überragt ist. So in östlicher Richtung von der Agels- und von der Lorenzspitze, nordöstlich von den beiden Feuersteinen, nördlich vom wilden Freiger, nordwestlich vom wilden Pfaff und vom Zuckerhütl, südwestlich von der Sonklar- der Schwarzwandspitze, der Königshofspitze, dem Botzer und dem Hochgewänd. Alle diese Eisgipfel – ausenommen der wilde Freiger - sind jedoch entfernt genug, um vom Becher Haus noch über sie hinwegsehen zu können, und besonders nach dem Süden zu öffnet sich eine überwältigende Fernsicht, so zwar, dass man an klaren Tagen sogar den Silberspiegel der Adria, den Monte Maggiore bei Fiume und die dinarischen Alpen erblickt. Dazu kommt die nach allen Seiten zu Füssen liegende Gletscherlandschaft, in die man vom Haus wie in einen dasselbe umgebenden gewaltigen Vorgarten blickt. Man kann wohl sagen, der Bechergipfel ist einer der herrlichsten Punkte unserer Gletscherwelt und einer der denkbar schönsten Aussichtspunkte.

Erreichen kann man diesen herrlichen Punkt, der durch das auf ihm errichtete, mit einem gewissen Komfort ausgestattete und bewirtschaftete Haus für jeden rüstigen Fußgänger zugänglich ist, von sieben Tälern aus. Freilich bedarf man zur Besteigung eines tüchtigen Führers, denn von allen Seiten ist der Zugang vergletschert und ist eine mindestens dreistündige, aber mit Führer völlig gefahrlose Gletscherwanderung zurückzulegen. Die natürlichste Zugangslinie ist wohl das bei Sterzing mündende Ridnauntal. Vom vortrefflichen Haller Hotel zum Sonklarhof in Ridnaun, wo man auch Führer bekommt, erreicht man die Grohmannhütte in 3 bis 3 ½ Stunden, die Teplitzerhütte in 3 ½ - 4 Stunden und von letzterer das Kaiserin Elisabeth Haus in 3 bis 3 ½ Stunden. Zu empfehlen ist ferner von Gossensass ins Pferschtal zu pilgern, wo man in Widum freundliche Aufnahme findet. Von hier erreicht man in drei Stunden die Magdeburger Hütte und von dieser auf verschiedenen Wegen, durch die herrlichsten Gletscherszenerien in 5 bis 6 Stunden den Becher. Auch durch das Gschnitztal lässt sich der Becher angehen, welcher Weg jedoch, da hier erst in diesem Jahr von Seite der Alpenvereinssektion Bremen mit dem Bau einer Schutzhütte begonnen wird, vorläufig nur Geübten zu empfehlen ist. Dagegen können von Norden Kommende den Weg durchs Stubai- und Langental nehmen, in der gut bewirtschafteten Nürnberger Hütte nächtigen und von hier in 3 ½ bis 4 Stunden über den Freiger zum Elisabeth Haus gelangen. Der Weg von der Dresdner Hütte ist etwas weiter, dafür aber um so schöner und großartiger, ohne dass man es nötig hätte, damit eine anstrengende Gipfelbesteigung zu verbinden.

Becher
Elisabeth Schutzhaus

Eine überaus großartige Wanderung ist es auch, wenn man von Sölden im Ötztal, beziehungsweise von der gut bewirtschafteten Windacheralm im Windachertal über die am Schussgrubenkogel in einer Höhe von 2900 Meter liegende Schutzhütte der Alpenvereinssektion Hildesheim ansteigt.

Sodann können gute Geher noch, vom Ötztal kommend, übers Timbler Joch, Timbler Alpe und dann entweder über die Botzer Scharte oder über die Hohestellscharte auf den Becher steigen, und für Mindergeübte empfielt sich noch der Anstieg von St. Martin am Schneeberg oder von Schönau im Passeir. Die beiden letzten Routen sind zugleich der direkte Weg von und nach Meran, und dabei von einer Großartigkeit und Abwechslung, dass sie ihresgleichen in Tirol suchen. Zudem ist man im Wirtshaus von St. Martin, einem der höchst gelegenen und interessantesten Bergwerke Europas und ebenso im Gasthaus zu Schönau im Passeir ganz gut aufgehoben. Man kann also den Becher nicht allein von allen Seiten aus besteigen, sondern ebenso auch von demselben nach jeder beliebigen Richtung hin absteigen.

Marmor
Kaiserin Elisabeth Bildnis

Und nun noch etwas über den Bau des Hauses, sowie über dessen innere Einrichtung, In so luftiger Höhe, nach allen Seiten hin stundenweit von riesigen Eismassen umgeben, war es geboten, nicht bloß solid zu bauen, sondern auch dafür zu sorgen, dem Touristen einen behaglichen warmen Aufenthalt bieten zu können. Es wurde deshalb ein solider Holzbau gewählt; derselbe hat eine Frontlänge von 12 Meter und eine Tiefe von 10 Meter. Der Holzbau ist, um ihn gehörig zu sichern, nach allen Seiten, bis zur Dachhöhe, von einer 80 cm dicken, nach Außen zementierten Steinmauer umgeben, Die Holzwände sind ferner nach innen mit Korksteinplatten belegt, welche, noch mit einer besonderen Vertäfelung versehen, die Innenwände der Wohn- und Schlafräume bilden. Außerdem besteht zwischen der Steinmauer und dem Holzbau ein Luftraum, welcher mit trockenem Moos ausgefüllt ist und 1895 wurde die ganze Außenseite des Hauses noch mit Schindeln versehen. Auf diese Weise wurde eine denkbar gute Isolierung gegen Kälte geschaffen, die noch dadurch vervollständigt wird, dass alle Fußböden mi 1 cm dickem Schafwollfilz belegt sind, wodurch auch jedes Getrampel mit den stark benagelten Touristenschuhen vermieden wird. Das Haus enthält drei Etagen nämlich einen Parterreraum mit Führerzimmer, Speisekammer, Holzkammer und zwei Retiraden, ferner einen ersten Stock mit fünf Schlafzimmern, einem Speisezimmer und einer Küche – sämtliche Räume braun getäfelt. Die Schlafzimmer sind mit 22 kompletten Betten nebst 22 vollständigen Waschtischen versehen. Das Speisezimmer hat eine künstlerische Ausschmückung erhalten, mit in Öl gemalten großen Scheibenbildern, ausgeführt und geschenkt von den Herren Professoren E. Compton, von Defregger, H. Kaulbach, G. Maffei und Ludwig Schmidt-Reutte und ist mit farbigen Portieren, ausgestopften Bergvögeln etc. ausgestattet. Die obere Etage, der Dachschlafraum, hat 11 Betten, welche wie diejenigen im ersten Stock mit Sprungfedermatratzen versehen sind. Alle Wohnräume sind mit Feuerlöschflaschen, System Gautsch, geschenkt von Herrn Dr. G. Hirth in München, ausgerüstet. Überhaupt wurde fast die ganze innere Einrichtung des Hauses von Münchner Alpenfreunden geschenkt, so eine komplette Kücheneinrichtung, Glas, Porzellan, Waschzeug, Essbestecke etc. Für 50 Personen, Servierbretter, Lampen, Leuchter, Tischtücher, Handtücher, Hausbibliothek, Arzneikasten, Barometer, Weckeruhr, diverse Spiele, Geldkasse, Fußwannen, Fenstervorhänge, Portieren, Hängematten, ein großes Fernrohr, eine Zither, eine Gitarre ect.

Die Vorderfront des Hauses ziert das von Künstlerhand angefertigte Marmorrelief Ihrer Majestät der Kaiserin Elisabeth. Was die Ausführung des Baues anbelangt, ao ist zu erwähnen, dass alle Holzteile in Sterzing angefertigt und nummeriert wurden. Der Transport von dem 1350 Meter hochliegenden Ridnaun auf den 3200 Meter hohen Gipfel erfolgte im Winter 1894 und waren mit den Einrichtungsgegenstände an 50.000 Kilo zu befördern, wobei für jedes Kilo 10 Kreuzet Trägerlohn zu zahlen waren.

Es war dieser Transport eine Scharfsinns- und Leistungsprobe der ihn besorgenden Ridnauner Talbewohner, die selbst jedem tüchtigen Berg Ingenieur zur Ehre gereicht haben würde. Das ganze Baumaterial wurde nämlich auf Schlitten über die vereisten Steilhänge nicht hinauf,, sondern buchstäblich herunter gezogen, indem nämlich die beladenen Schlitten vermittelt eines über eine Rolle geführten Drahtseiles hochgezogen wurden. Ein beladener Schlitten ging immer aufwärts und zugleich ein leerer, mit Arbeitern besetzter Schlitten, der am anderen Ende des Drahtseiles befestigt war, abwärts, und so rückte man dem Gipfel des Bergriesen stufenweise näher. Anfangs April war alles Bauholz auf dem Becher. Im Juni wurden zwar die Bauarbeiten durch Sturm und Schneegestöber sehr gestört; tagelang mussten die Arbeiter bei 3 bis 4 Grad Kälte unter zusammen gelegten Brettern schlafen. Nichtsdestoweniger konnte am 18. August 1894 die feierliche Eröffnung des Hauses sowie die Enthüllung des Marmorbildnisses Ihrer Majestät der Kaiserin stattfinden. Im Jahr 1895 war der Besuch des Hauses bereits auf 700 Touristen angewachsen und diejenigen Besucher, welche sich vorstellten, welche Schwierigkeiten die Bewirtschaftung eines so hoch und von allen menschlichen Wohnungen so entfernt gelegenen Hauses macht, verließen alle befriedigt das Haus, während freilich eine kleine Anzahl von Touristen schon unzufrieden war, wenn einmal frisches Fleisch oder Bier fehlte, oder wenn sie in den oberen Betten schlafen sollten.

Das Kaiserin Elisabeth Haus ist von der Sektion Hannover aus Liebe zu den schönen Alpen und für die wahren Freunde der Alpennatur gebaut; wer aber da oben eine Verpflegung und Bedienung erwartet. wie in einem Schweizer Hotel, der tut gut daran, vom Besuche des Schutzhauses abzusehen.

Das Kaiserin Elisabeth Schutzhaus wurde ständig erweitert und modernisiert

QUELLE: Dillinger Reisezeitung Prof. Dr. L. Arnold/ ÖNB, Bildmaterial I.Ch.Graupp

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