KARST-GEBIET#
1877: Die Karstfrage ist eine sehr brennende, eine Lebensfrage für die Bewohner der österreichischen Küstenländer und sogar eine wichtige Angelegenheit für die Schifffahrt im adriatischen Meer. Jene mehr oder weniger und oft gänzlich verödeten Steinwüsten von zusammen 290 Geviertmeilen, welche sich in unseren zur Adria abfallenden Ländern Dalmatien, kroatisches und österreichisches Küstenland, Innere Krain, über ein Gebiet von bald 600 Quadratmeilen ausbreiten, nennt man den Karst.
Dieses ominöse Gebiet, einst der Träger blühender Wälder, ist durch den Unverstand und die Gier der für den Tag lebenden Menschen, durch Entwaldung und darauf folgende rücksichtslose Ziegenweide zum größten Teil nahezu unproduktiv geworden, teilweise nackter Fels, bar auch fast jedweden Pflanzenwuchses. Die Bevölkerung ist dadurch ungemein reduziert, guten Teils an den Bettelstab gebracht worden und so verkommen, dass sie sich ohne ausgiebigste Staatshilfe aus ihrer Notlage nicht mehr empor zu raffen vermag.
Aber die traurige Bodenauszehrung ist nicht der alleinige Fluch der Verkarstung;ein zweiter besteht in der auffallenden Verstärkung jenes verrufenen Sturmes, der als Bora, die Bodenkultur, das Wohnen und den Verkehr genau nach Maßgabe seiner eigenen Heftigkeit und Dauer schädigend, nunmehr auf der Seeseite des ganzen Küstengebietes eine Gewalt erlangt hat, welche die feineren Kulturen in der Küstenregion Orts weise gar nicht mehr gedeihen lässt, die lokale Küstenfahrt wochenlang unterbricht, zum Schrecken der Schiffer wird und die verderbliche Pflanzen die durch das Salz der Meereswellen auf den dalmatinischen Inseln verdreifacht hat.
Auffallend die zugenommene sommerliche Trockenheit und Dürre der Böden der gänzlichen Verkarstung dieser Landstriche zulässt. Nach Ansicht eines Fachmannes, dass die Verkarstung in solchem Fortschritt begriffen ist, dass, wenn ihr nicht endlich Einhalt geboten wird, der Karst und sein Volk gänzlich zugrunde gehen und die Steinwüsten erschreckend und derart überhand nehmen müssten, dass derselben endlich auch noch jene Teile des Berglandes zum Opfer fallen würden, welche wie jene, aus gefährlichen Kalkböden bestehen.
Für jenen der allerschlimmsten Teile nun, welchen man in der kroatischen Militärgrenze den „See-Karst“ nennt, hat die Stunde der Rettung geschlagen. Der Staat schickt sich hier an, mitvoller Kraft die Sünden früherer Generationen zu tilgen, ein Akt, der auch für die übrigen vaterländischen Karst-Gegenden vorteilhafte Folgen nach sich ziehen muss und mit dem es folgende Bewandtnis hat.
Das am 8. Juni 1871 von Sr. Majestät dem Kaiser erlassene Reskript enthält unter den die Aufhebung des Militärsystems im croato-slavonischen Grenzgebiet betreffenden Bestimmungen auch jene: „dass die Einkünfte aus den überständigen Hölzern der Grenzstaatsforste zu Investierungen, insbesondere auch zu Karst-Aufforstungen zu verwenden seien.“ Dadurch sind für die Wiederkultur des militär-kroatischen Karstes reiche Mittel sichergestellt und zunächst das Generalkommando in Agram, als oberste Verwaltungsbehörde des Grenzgebietes angewiesen worden, sofort zu den nötigen Vorbereitungen zu schreiten.
Diese ebenso schwierige als bedeutsame Aufgabe, von deren Gelingen tatsächlich die Zukunft einer ganzen Provinz abhängt, ist glücklicher weise in die Hand eines Mannes gelegt, der alle Aufgaben der dortigen Landeswohlfahrt mit eben so viel Geschick als Energie erfasste. Es ist der kommandierende General in Agram, k. k. Feldzeugmeister Freiherr von Mollinary, als Chef der Behörde, dem wir den ersten großen Schritt in der Karst-Frage verdanken.
Das Streben des Freiherrn von Mollinary, das seiner Verwaltung anvertraute Gebiet kulturell zu heben und die ihm durch die Munifizenz Sr. Majestät zur Verfügung gestellten Mittel in erfolgreicher Weise zu verwenden, ist vorzugsweise auf den Ausbau der so wichtigen Kommunikationen, darunter die Grenzeisenbahn, ein Kanal und ein zweckmäßiges Straßennetz, auf die Regulierung des Save-Flusses und auf die Wiederkultur der ausgedehnten Karst-Ödungen einschließlich der Beseitigung der dortigen Wassernot gerichtet.
Während nun nach der einen Richtung ausgezeichnete Ingenieure für die Ausarbeitung der Pläne gewonnen wurden, tat Freiherr von Mollinary auch nach der anderen Richtung einen sehr richtigen Griff, indem er die Vorarbeiten für die Wiederkultur des Karstes einem durch seine reichen Erfahrungen und ausgezeichnete Forschungsgabe hervorragenden österreichischen Forstmann, dem General-Domaineninspektor Joseph Wessely anvertraute. Das Resultat der Forschungen desselben liegt uns vor; es ist dies ein vom k. k. Generalkommando in Agram herausgegebenes Werk, welches den Titel trägt: „Das Karst-Gebiet Militär -Kroatiens und seine Rettung, dann die Karst-Frage überhaupt“
Dieses Werk ist das einzige und erste, welches die Karst-Frage überhaupt in ihrer verhängnisvollen Gänze behandelt und zwar mit einer Gründlichkeit, welche dem Verfasser den Dank aller, die sich mit dieser Frage befassen, eintragen wird. Das Werk von 366 Seiten nebst einer Karte des Küsten-Karstes in kroatischen Militärgrenzgebiet zerfällt in zwei Teile, deren erster das militärisch-kroatische Karst-Gebiet im allgemeinen, die Wiederkultur des See-Karstes, die Sicherstellung des Hochlandes, allgemeine Anträge betreffs des militär-kroatischen Karst-Landes, die Karst-Kultur, die Aufforstungstechnik, das Futterlaubwesen und endlich die große österreichisch-ungarische Karst-Frage im ganzen behandelt, während der zweite Teil die näheren Ausführungen und Begründungen mit Rücksicht auf die Orographie, Hydrographie, Geologie und Pedologie so wie bezüglich des Verfahrens über die Eigentumsregelungen und endlich das Wissen vom Futterlaub und vom Futterlaubwald umfasst.
Das Interesse gilt vor allem dem gesamten österreichisch-ungarischen Karst-Gebiet, das einst in der Regel bewaldet, was nicht nur die Chroniken und Volkssagen, sondern unzählige, noch jetzt vorhandene Anzeichen und Reste unwiderleglich beweisen.
Der Karst ist keine bloß österreichisch-ungarische, er ist vielmehr eine südeuropäische Kalamität: denn nicht nur die Monarchie, sondern auch eine Reihe anderer und insbesondere jene Länder, welche der geographischen Balkan-Halbinsel angehören, unterlagen dem Fluch der Abzehrung zum nackten Steinskelett.
Wenn wir von den Provinzen absehen, wo der Karst nur im kleinen und isoliert auftritt, so lässt sich unser Karst-Gebiet in folgende Übersicht in Quadratmeilen zusammenstellen: Ganz Dalmatien 222, Militär Kroatien 149, Freistadt Fiume mit Komitat 28, österreichische Küstenland 139, Inner Krain 44 ergibt die Summe 582.
Nicht etwa, dass dieses Gebiet bereits durchweg Wüste wäre; aber die Verkarstungsfähigkeit und die verödeten Strecken herrschen hier vor, so dass die unverwüsteten und fröhlich bewachsenen Orte zu den Ausnahmen gehören, dass die Steinwüste ferner nicht nur dem Territorium, sondern auch den Bewohnern, ihrer Wirtschaft, ihren Sitten, ihrem Denken und Fühlen, kurz Land und Leuten einen ganz besonderen, in ersterer Beziehung abschreckenden Stempel aufgedrückt hat.
Die 582 Quadratmeilen des Karst-Gebietes bestehen zu 24 pCt. der Landesflächen aus Äckern, Gärten, Wiesen, 23 aus Wald, 53 Weide und Unland. Mehr als die Hälfte des ganzen Gebietes ist somit verödet. Daraus erklärt sich auch der geringe Volksstand, welcher nur 2500 Seelen per Quadratmeile, somit kaum die Hälfte der übrigen österreichischen Länder, beträgt.
Das Weideland besteht meist aus Steinblöcken, Gebirgsschutt wo nur aus Felsritzen etwas Buschwerk hervor sprießt, und trotzdem gibt sich die Bevölkerung der Viehzucht hin.
Daraus ergibt sich die Dringlichkeit einer Aufforstung. In beiden Richtungen bedarf es einerseits der einschlägigen Gesetze und andererseits der nötigen Agrarpolizeiorgane, welchen auf Grund ihrer sachlichen Befähigung die Durchführung der Maßregeln einleiten und überwachen.
Und da die Wiederkultur der Karst-Ödungen von größter Bedeutung nicht nur für den lokalen, sondern selbst für den Wohlstand des ganzen Reiches ist, dagegen einen Arbeitsaufwand erheischt, der in der Regel zur gegenwärtigen Bodenrente in schlechtem Verhältnis steht, so bestünde das Geringste, was Staat und Land zu Gunsten dieser wichtigen Kultur tun könnten darin: alle durch Fleiß der Eigentümer der Kultur zugeführten Ödungen für zirka 30 Jahre von allen Steuern zu befreien, damit jener Landmann der tatsächlich im Schweiße seines Angesichtes ein Stück Wüste in produktives Land verwandelt, wenigstens für seine Lebenszeit die Früchte solcher gemeinnütziger Anstrengung ungeschmälert genießen könne.
QUELLE: Wiener Zeitung, 19. Februar 1877, S 5. ANNO Österreichische Nationalbibliothek
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