LEO DELIBES#
Die schönste Ergänzung der kleinen Oper bildete das reizende Ballett. Eine teils phantastische, teils burleske Handlung, originelle Tänze, besonders aber eine geistreiche, effektvolle Musik machen diese „Coppelia“ zu einer der erfreulichsten Ballettacquisitionen. Pygmalion, der sich in eine schöne Statue verliebte und sie belebte, hat hier ein lächerliches Ebenbild erhalten in einem Zauberer und Automatenbesitzer, der gleichfalls ein lebloses Kunstwerk anbetet und zum Leben erwecken will. Coppelia heißt ein Automat, ein in einem hohen Lehnstuhl sitzendes Mädchen, das in einem Buche liest; zwei Verehrer hat Coppelia, den alten Zauberer und einen jungen Mann, der früher ein hübsches Mädchen, Swanilda, geliebt hat. Swanilda will ihren Geliebten von seiner Torheit heilen und zugleich den Zauberer necken, und nimmt in Abwesenheit des Letzteren die Stelle Coppelias an; der Zauberer möchte gern endlich sein Kunstwerk beleben und spricht das Zauberwort, die vermeintliche Coppelia steigt richtig vom Stuhl herab, macht die steifen. abgemessenen Bewegungen der Automaten und tanzt endlich die schönsten spanischen und schottischen Tänze. Entzückt über sein Werk eilt der Zauberer fort, um die Wirkung seines Zaubers öffentlich zu zeigen; mittlerweile setzt Swanilda die Coppelia wieder in den Lehnstuhl, der Alte kommt mit den erwartungsvollen Zuschauern zurück, versucht wieder die alten Künste, aber Coppelia bleint, was sie immer war, ein schöner Automat.
Der Zauberer wird ausgelacht, und Swanilda findet ihren Geliebten wieder. Zu dieser jedenfalls sehr ergötzlichen Handlung schrieb Delibes eine Musik, welche auch einer burlesken Oper Ehre machen würde, das ist nicht die banale Musik der neuen Balletts, nicht die bloße Begleitung der Tänze und Gruppierungen, sondern die graziöse, feinste Interpretation des Sujets; die Szene in dem Automaten Kabinett bildet ein echt dramatisches Bild. Delibes gelang das Außerordentliche, dass seine Musik das Hauptinteresse erregte, die Tänzer erschienen nur als die schimmernden, verkörperten Illustrationen seiner frappanten, melodiösen Tonmalerei. Besonders in der ersten Abteilung hat er sein Thema von Moniuszko glänzend variiert. Wie Brüll wurde auch Delibes lebhaft gerufen; beide anwesende Komponisten dankten persönlich für die verdienten Auszeichnungen. Eine reizende Leistung bot Fräulein Linda als Swanilda, wirkliche mimische Kunst zeigte sie durch die glückliche Imitation des Automaten. Besonders gefiel ein Csardas und ein Air varié. Dr. F.
Sz.-V. Im März 1880, Signale: „Stets werde ich mich des Eindrucks erinnern, den ich zum ersten Mal aus „Coppelia“ mitgenommen, und ich denke mir, dass mancher Andere ihn empfunden hat. Tagelang ist mir davon wie ein helles und doch sanftes Bild im Kopf geblieben. Ein wunderbares Farbengeflimmer, in welchem das Auge schwelgt, ohne doch durch scharfe Kontraste ermüdet zu werden. Es ist schwer, den eigenartigen Zauber Delibes Musik zu kennzeichnen. Sie wendet sich in glücklichem Gleichmaß an den Geist, an die Empfindung, an die Sinne zugleich. Sie gefällt sich nicht in kunstvollen, gelehrten Entwicklungen die nur den Eingeweihten mit Bewunderung erfüllen, sie regt niemals wahrhaft starke und schmerzliche Gefühle an, sie sucht niemals eine bloß sexuelle Wirkung. Und doch, wieviel echte Kunst, eine wie gründliche Kenntnis des musikalischen Handwerks; wieviel warmes und herzliches Empfinden, und wieviel Lebenstrieb und sinnliche Kraft setzt sie in dieser wohltemperierten Mischung voraus!
Leo Delibes hat, wie mir scheint, eine musikalische Form gefunden, welche so recht der Genussfähigkeit und dem Temperament unserer heutigen skeptischen Gesellschaft entspricht, und darum ist er der liebenswürdigsten Komponisten einer, deren das gegenwärtige Frankreich sich rühmen kann....“
Am 19. Februar 1910 wurde in Graz Leo Delibes Oper „Lakme“ erstaufgeführt. Es handelt sich um ein Frauenschicksal aus dem Wunderland Indien. Dem Land der Geheimnisse, in dessen Blumenwäldern mystische Schauer rauschen, wo immer Blätterdämmer verborgene Tempel träumen. Wo unter glatter Oberfläche heiße Leidenschaften glühen, ein wundersamer Reichtum an Stimmungen weht. Schlummernde Stimmungen, die wach geworden, indem sie in Musik aufgelöst wurden.
„Lakme“ ist großer Opernstil in verfeinerter Form. Den geschmackvollen Musiker Delibes erkennt man an der edlen melodischen Linie, an dem Bestreben, der Musik zu geben, was ihrer ist, und nie ihren Reiz durch robuste Effekte zu töten. Dem exotischen Millieu werden durch mancherlei Entlehnungen aus der Beda Rechnung getragen, dem überlieferten Schatz indischer Urmelodien, die uns Delibes im freien Rhythmus und in modernen instrumentalen Kleide wiedergibt. Die Instrumentation ist übrigens einer der bestechendsten Werte in dem nichts weniger als wertlosen Werke des Franzosen. Das Orchester malt entzückende Tonbilder; glänzende Szenen mit stolzem Pathos und seine intime Reize....H. Kleindienst.
Pester Lloyd im Jänner 1891: „Klingt es nicht wie tragische Ironie, dass der Meister des Tanzpoems mitten im lustigen Fasching sich plötzlich hinlegt, um zu sterben? Umtost von dem tollen Wirbel des Pariser Karnevals, der Hunderttausend Fußpaare in feurigen Schwung setzt, hauchte Leo Delibes sein Leben aus, der unübertroffene Künstler der musikalischen Taubstummensprache, nach deren graziösen Rhythmen sich alle Ballettkorps der Welt gedreht. Opera comique mag immerhin ihre feierlichste Trauerflagge hissen, denn sie hat der Besten einen verloren. Die musikalische Jeune France aber folgt erschüttert diesem Sarge, in dem ihr anmutigster Sing- und Spaßvogel ruht, stumm und kalt, vom unerbittlichen Tod dahingerafft mitten im fröhlichen Trällern.
In St. Germain du Val, am 21. Februar 1836, als Sohn eines Postboden geboren. Schon als Zwölfjähriger besuchte er das Pariser Konservatorium. Als er im Ausstellungsjahr in Budapest weilte, entzückte er alle Welt durch die vollendete Liebenswürdigkeit seines Naturells. Die distinguierte Erscheinung, die elegante Tournure, die hellen, freundlichen Augen mit ihrem beweglichen Spiel, die fein geschnittene Nase, die so unfehlbar Chablis und Trüffeln erschnupperte, wie seine musikalische die Gourmandisen der Harmonie und Orchestration, der leicht sinnliche Zug der Lippen, um die stets ein gewinnendes Lächeln schwebte und mit einem launigen Scherzwort aufzuwarten. Ein treues Abbild der Musik, die er machte, dieser feinen, graziösen, eleganten Musik,
Delibes ist ein Selbsthilfmann, der sich tapfer durch die Drangsal des gemeinen Lebens und künstlerische Misserfolge durchgeschlagen, bis ihm die Sonne des Beifalls lächelte.
Er hatte sich um den Römerpreis beworben und war glänzend durchgefallen. Das war ein erster herber Schmerz. Seine Zeitgenossen Massé und Bizet konnten ihre italienische Reise machen. Delibes schrieb dafür in einer Anwandlung launiger Rache den famosen Furienchor in der Gesangslektion „Le roi l' á dit“.
Vorerst war der junge Abiturient froh, sich als Klavierbegleiter im Theatre Lyrique nützlich zu machen. In freien Stunden schreibt er sich freilich den Ärger, den er beim Drillen talentloser Choristen schluckte, mit Chansonetten und Romanzen vom Leibe. Diese einfachsten Formen, mit denen fast alle namhaften französischen Komponisten begannen, erwecken seine melodische Ader und den Sinn für sangbare natürliche Schreibart. Alsbald schwingt er sich zur Operette auf.
Die Vorstadtbühnen wurden von Delibes mit sogenannten „Eintagsfliegen“ versorgt. All das haben vor ihm bereits die großen Meister durchgemacht.
Sein Ballett „La source“ aufgeführt, machte zuerst das vornehme Pariser Publikum auf ihn aufmerksam. Den ersten Akt komponierte ein Pole doch die folgenden beiden Akte waren von Delibes. Die anmutige, leicht fließende Melodie, die nette orchestrale Charakteristik, die auch hier schon treffend die Szene begleitet, fanden lebhaften Gefallen. Der Erfolg dieses Balletts war richtungsweisend.
1871 heiratet Delibes die Schauspielerin Leontine Estelle Denain.
Der Name Delibes ist doch vor allem mit dem Ballett als musikalischer Kunstgattung auf das engste verknüpft. Er hat mit dem alten Schlendrian gründlich aufgeräumt, das arg verfahrene Genre, das immer mehr in rythmisierte Fußgymnastik, sinnlose Gruppenevolutionen und hohles Virtuosentum auszuarten drohte, in eine reine Kunstphäre gehoben. Delibes ist, wen auch nicht der Begründer, so doch der Meister des Charakterballetts für welches Coppelia in der modernen Form mustergültig geworden ist.“
Man hat in Paris einen liebenswürdigen Charmeur zu Grabe getragen,
Das „Neue Wiener Tagblatt“ widmet Delibes nur wenige Zeilen: „Der Organist der Kirche St. Jean et Francois hat in Wien, das er wiederholt besucht hat, durch seine Werke große Popularität genossen, an mancher Nummer aus seinen Balletten hat man sich heute noch nicht satt gehört. Sein Wiener Debut war die Aufführung „Der König hats gesagt“, dann folgten rasch am Hofoperntheater „Naila“, „Sylvia“, und „Coppelia“. Nach seinen herrlichen Erfolgen gab er die Organistenstelle auf und wurde Professor der Komposition am Pariser Konservatorium.
Leo Delibes wurde kaum 55 Jahre alt und starb an Albuminurie.“
Auch die Kunst Chronik brachte einen Nachruf: „Einen herben, schwer verwindenden Verlust hat die Welt des Sangs und Klangs durch den unerwartet raschen Hintritts eines feinsinnigen Talents erlitten.
Delibes, eines der wenigen schöpferischen, musikalischen Talente der Gegenwart welche eine eigene Physiognomie in ihren Leistungen zur Schau tragen, ein Mann, auf welchem die Hoffnung nicht bloß Frankreichs, sondern der gesamten musikalischen Welt betreffs einer gedeihlichen Fortentwicklung der Spieloper beruhte, ist nicht mehr.
Wer ihn seiner äußeren Erscheinung nach gekannt, vermag es kaum zu fassen, dass ein Mann wie er, in den besten Jahren, stark gebaut, das Bild strotzender Gesundheit, so plötzlich ohne vorhergegangener Krankheit hinweggerafft werden konnte.
Aus dem ehemaligen Chorknaben, Kirchenorganisten... die rauschenden Erfolge, die er gleich seinem Lehrer Adam als Ballettkomponist davongetragen, haben ihn glücklicherweise nicht abgehalten, sein eigentliches Fach, die Spieloper, zu pflegen.“
Lakmes Musik hat elegante und geistreiche Faktur, ist mit sicherer Theaterhand klar gestaltet, jede Szene für sich stehend, abgeschlossen, gerundet und geformt, und der Dialog verbindet die Szenen.
Die Musik ist abwechslungsreich, klar, oft bis ins Gebiet des Poetischen geführt, fein im Klang, echte französische Musik des Geistes und des artistischen Geschmacks: Kunstgewerbe des Theaters, durch Esprit, Gefühl, pittoreske Farben veredelt. Das angeführte Wort Bülows der Delibes einen „Musikjuwelier“ genannt hat, trifft auch den Kern der „Lakme“.
QUELLE: Radio Wien 13. September 1929 Seite 5, Signale Heft 24 1880 Seite 172, Grazer Zeitung 12. September 1874 Seite 1, ANNO Österreichische Nationalbibliothek Bildmaterial: I.Ch. Graupp
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