LUSTENAUS STICKEREI#
1949: Das westliche Bundesland Österreichs, Vorarlberg, hat so manchen Gedenktag der für das wunderbare Land stets mit einer Veränderung verbunden war. Ein solcher Tag ist wohl auch der 22. März 1830 zu nennen, an dem Lustenau endgültig zu Österreich kam, denn bis 1806 war es ein freier Reichshof des Heiligen Römischen Reichs gewesen. Für bedeutungsvoll nach all den verschiedenen Ereignissen darf dann der 28. März 1869 genannt werden, denn an diesem Tag kam die erste Stickmaschine nach Lustenau und begründete damit die Stickereiindustrie. Aus dem armen Bauerndorf am Rhein wurde ein wohlhabender Markt mit 10.000 Einwohnern.
Anfangs der Fünfzigerjahre des 19. Jahrhunderts entstanden in St. Gallen die ersten Stickfabriken mit Handstickmaschinen. Die Stickerei nahm rasch zu; schon 1872 gab es in der Ostschweiz 6384 solcher Maschinen, die mit ihren Hilfsarbeitern über 15.000 Arbeitskräfte beschäftigten. Infolge der Verbindungen, die durch die Kettenstickerei zwischen Vorarlberg und der Ostschweiz bestanden, kamen viele Vorarlberger Fergger häufig nach St. Gallen. Sie brachten die Kunde von dem guten Verdienst der Sticker auf solchen Maschinen über den Rhein in ihre Heimat.
Als der Lustenauer Josef Hofer, dessen Großeltern sich schon mit der Stickerei befasst hatten, von diesen neuen Maschinen gehört hatte, erkannte er sofort, dass sie das Ende der Handstickerei bedeuten würden, denn wie in der Spinnerei die Spinnmaschine würde auch die Stickmaschine die Handarbeit verdrängen. Als 19 jähriger Lehrling ging Josef Hofer in eine Stickerei in Altstätten. Nach seiner Heimkehr entschloss sich dessen Vater zwei Stickmaschinen anzuschaffen. Sie wurden am 28. März 1869 in Lustenau aufgestellt. Die Handstickmaschinen vermehrten sich bald mit einer geradezu unglaublichen Geschwindigkeit, und Lustenau wurde damit zum Mittelpunkt dieser in Vorarlberg so kennzeichnenden Industrie.
Im Jahr 1880 belief sich das in der Stickereiindustrie angelegte Kapital auf 45 Millionen Franken; das Betriebskapital auf 30 Millionen Franken; der Jahreslohn der Sticker wurde auf 30 Millionen Franken berechnet.
In den Gemeinden des Rheintales und Walgaus bestanden, dank des Wasserreichtums schon lange leistungsfähige Baumwollspinnereien und -webereien war Lustenau noch immer ein Dorf ohne Industrie. Anfangs Juni 1788 als Goethe über dem Splügen, Feldkirch, Götzis und Lustenau nach Konstanz reiste, hatte Lustenau 340 Familien und 1800 Einwohner. Als Lustenau 1830 zu Vorarlberg kam, hatte es 2275 Einwohner. Fünfzig Jahre später 4164, jedes Jahr vermehrte sich die Einwohnerschaft von Lustenau, da ein großer Bedarf an Arbeiter und Gewerbetreibenden bestand.
In den zwanzig Jahren von 1891 bis 1910 wurden nicht weniger als 400 neue Häuser gebaut. Dieses rasche Wachstum war ausschließlich der Stickerei und ihren Pionieren zuzuschreiben.
Nach Josef Hofer folgten die Brüder Fitz, einer von ihnen leitete Jahre lang, die Wiener Niederlage die 1914 den Betrieb einstellte.
Im Jahr 1890 soll Gebhard Bösch, Menters, eine der ersten Handstickmaschinen ohne sein eigenes Geld erworben haben. Heinrich Fenkart aus Hohenems, der zuerst den Lederhandel betrieben hatte, vermittelte Handstickmaschinen, die damals immerhin 2000 Franken kosteten, ohne Geld, auf Ratenzahlungen. Die regelmäßige Abzahlung solcher Schulden nannte man Terminen. Fenkart bestätigt sich auch als Unternehmer im Häuserbau, wofür der Name Fenkartgasse Zeugnis gab.
In der Gründerzeit betätigten sich die Brüder Grabher, Fidelers, dann Martin Holzer und Urban Bösch, Hirschenwirt, der 1880 eine Handstickmaschinenfabrik mit acht Maschinen einrichtete.
Firma Ignaz König Söhne führten Wirkwaren und besaßen eine Klöppelspitzenfabrik. Im Jahr 1892 gründete Josef Alge, Bolas oder Sonnenwirts Anton, die Firma Eduard und Josef Alge, später Stickerei Union. Sie hatten als Fergger angefangen und sich erfolgreich in diesem Beruf betätigt und dann mit dem Lehrer Eduard Alge der auch eine Zeit lang Bürgermeister von Lustenau war, zusammengetan. 1897 baute die zur Stickerei Union erweiterte Firma die erste Schifflimaschinenfabrik Lustenaus im Winkel mit 10 Maschinen von fünf Yard Länge. Der Antrieb erfolgte durch einen Benzinmotor.
Unter den ersten Handmaschinenstickern ist die Familie Hämmerle, Wießensepps, zu erwähnen, deren Sohn Richard Hämmerle, als Fergger begann und dann der Gründer der Firma Richard Hämmerle wurde. Eine Spezialität des Gründers war seine Beschäftigung mit dem sogenannten Tüchliartikel, den gestickten Taschentücher. In ähnlicher Weise betätigte sich Ferdinand Bösch als Fergger für Tüchli.
Aus dem Ferggerstande ist später auch die Firma Adolf Hämmerle in der Bahnhofstraße hervorgegangen. Der Gründer war vorher als Fergger für Fischers Witwe besonders in Wolfurt und Lauterach tätig gewesen.
Der Aufstieg und die Blüte der Stickerei wäre nicht möglich gewesen, der stattliche Markt Lustenau nicht entstanden, ohne den großen Stand von fleißigen und intelligenten Stickern und Hilfsarbeitern. Heute arbeiten viele in dritter Generation, deren Väter und Großväter mit der Handstickmaschine begonnen haben, dann zur Fünf Yard Maschine und dann bis zur Zehn Yard Maschine vorwärts schritten und deren Arbeitslust, Fleiß und Unternehmungsgeist viel zur Ausbreitung der Stickerei beigetragen haben. Es seien nur einige typische Stickereifamilien die dem Gewerbe treu geblieben sind, genannt: Gebhard Vetter, Josef Blatter. Johann Hagen. In diesem Zusammenhang ist auch der Monteure der ersten Generation zu gedenken des späteren Schifflimaschinenvertreters Wickbert Fitz und Rupert Hagens des Handmaschinenmonteurs, der sich später als Spezialist für das Fellen der Bohrer einen Namen machte.
Unvollständig währe das Bild der Sticker, würde man nicht eigens den großen Anteil der Frau erwähnen. Es gibt wohl keine Industrie, die in so vielfältiger Weise die Frau in Anspruch nimmt, von der Fädlerin, Schifflifüllerin, Nachstickerin, Scherlerin, Ausschneiderin und Geschäftsleiterin. Nur ein Gebiet hat sie seltsamerweise nicht berührt, das der Zeichnerin und Entwerferin.
Die Einführung und der Ausbau der Stickerei ist kennzeichnend für den Geist der Pioniere und Unternehmer in Lustenau. Wohl haben im Laufe der späteren Entwicklung auch Schweizer, denen das Ländle zur Wahlheimat wurden, Geschäfte gegründet, aber die Stickerei ist bis heute wesentlich eine Sache der Lustenauer geblieben. Von den ausländischen Firmen seien erwähnt Wehrle & Co., und Emil Brüschweiler. In Höchst hatte die Firma Fink-Sibler von St. Margarethen, deren Gründer Philipp Fink ein Vorarlberger war, eine Schifflimaschinenfabrik gebaut, später auch die Firma Ikle in St. Gallen. Beide Firmen bestehen nicht mehr. Auch ein französisches Unternehmen, die Firma Julien Daltroff, hat in Lustenau eine Schifflifabrik errichtet, deren Leitung in der Hand Jean Loepses lag.
Die verschiedenen Krisen die nach sehr guten Zeiten mehrmals auftraten, haben manches einst blühendes Unternehmen in Mitleidenschaft gezogen. Unternehmungslustige Männer haben andere Erwerbszweige eingeführt und zur Blüte gebracht, wie die Firma Hofer, Bösch & Co., die Möbelstoff- und Vorhangweberei, Ignaz Königs Söhne, die Wirkwarenerzeugung, Klöpplerei und Konfektion. Richard Hämmerle die Seidenweberei. In den Räumen der ehemaligen Firma Ed. Alge & Co., ist eine Wollweberei entstanden. Ferdinand Scheffknecht in Lustenau, die Gebrüder Längle in Altoch und Josef Fenkart in Hohenems haben die Wirkwarenerzeugung an ihre Stickereien angeschlossen.
Die Erzeugnisse der Stickerei sind hauptsächlich immer ins Ausland und zwar in fast alle Staaten der Welt ausgeführt worden, weshalb diese Industrie stets sehr empfindlich gegen äußere Einflüsse war. Trotz allem hat die Stickerei viele Vorzüge, so die Arbeit in staubfreien, hellen Räumen, die ständig wechselnde, an die Intelligenz und Anpassungsfähigkeit der Sticker hohe Anforderungen stellende Vielfalt der Erzeugnisse und in normalen Zeiten guten und sehr guten Verdienst. Dazu kommt die Möglichkeit vieler Sticker etwas Landwirtschaft oder Obstbau zu treiben, sowie die Kinder und die Frau als Gehilfen zu beschäftigen. Der Sticker ist ein unabhängiger Gewerbetreibender; er kann den Fabrikanten wählen, mit dem er arbeiten will. Viele Arbeitsverhältnisse haben sich Jahrzehnte lang erhalten, ein Beweis gegenseitiger Zufriedenheit,
Als die Schifflistickerei aufkam, hatten manche Handsticker so viel erspart, dass sie an die Anschaffung einer solchen Maschine um 7000 Franken und mehr denken konnten. In Vorarlberg entfallen heute 200 Maschinen auf die Fabriken und 460 auf die Einzelsticker. Mehr als 90 Prozent der Sticker betreiben nebenbei etwas Landwirtschaft; 80 Prozent sind im Besitz eines eigenen Hauses. Von den Stickern versorgen sich zwei Drittel selbst mit Kartoffeln; ein Fünftel mit Mais, der als Riebel auf den Tisch kommt und in der Ernährung der Vorarlberger eine große Rolle spielt, und zwei Drittel mit Gemüse. Drei Viertel aller Sticker pflegen den Obstbau; auf jeden trifft es zwanzig Bäume. Ein Fünftel versorgt sich selbst mit Milch. Man wird nicht fehlgehen, wenn man den Kinderreichtum der Stickerfamilien nicht zuletzt ihrer Verbundenheit mit der Scholle zuschreibt. Die starke landwirtschaftliche Betätigung, ist auch ein Grund, dass die Vorarlberger Stickerei bisher noch jede Krise überstanden hat.
Dass mit der Stickerei auch manche Nachteile verbunden waren ist selbstverständlich. Für jedes Gewerbe ist ein Befähigungsnachweis erforderlich: Sticker konnte früher ein jeder werden. In den Zeiten guten Geschäftsganges kam der Sticker ohne gewerbliche Kalkulation aus, er konnte sich das Nachrechnen ersparen, denn er verdiente gut, und das genügte ihm. Die Kalkulation überließ er den Fergger oder dem Fabrikanten. Bei sinkenden Löhnen wurde Tag und Nacht gearbeitet. Um tüchtige Sticker auszubilden, wurde 1891 die Stickereischule gegründet, die sich um die Stickereiindustrie große Verdienste erworben hat. Merkwürdig ist, dass sie nicht in Lustenau, dem Hauptsitz der Stickerei, sondern in Dornbirn errichtet wurde, während die Handelsschule in Lustenau und nicht in Dornbirn steht. Aus der Stickereischule ist die heutige Bundestextilschule hervorgegangen.
Mit der Zunahme der Stickereiausfuhr aus Lustenau entstanden die Hilfsindustrien, die Kisten- und Kartonagenerzeugungen, die mechanische Scherlerei und die Veredlung.
Über die Lustenauer Unternehmer äußerte sich Dr. Mühlwerth wie folgt.: „Durch die ständigen Kontakte mit dem Ausland, der auch die Beherrschung fremder Sprachen und die Vertrautheit mit den Sitten und Gewohnheiten fremder Völker bedingt, durch den infolge häufiger Modeänderungen verursachten ewigen Wechsel in der Musterung und die in vielen Krisen gestärkte Kampfkraft ist der Vorarlberger Stickereifabrikant zu einem besonderen Unternehmertypus geworden, der sich durch große Energie und Zähigkeit, Fantansie und Elastizität auszeichnet. Er verfügt über ganz hervorragende Exporterfahrungen und die Fähigkeit, sich blitzschnell allen Änderungen des Marktes anzupassen. So ist es kein Wunder, dass dadurch die Krisen besser überstanden wurden und bis zum heutigen Tag eine ansehnliche Stellung im Wirtschaftsleben Vorarlbergs bewahrt hat.“
Als Erfinder der Schifflistickmaschine gilt der am 26. April 1822 in Oberuzwil . geborene Sohn eines Schulmeisters, Isaak Gröbli. Dank der ersten Nähmaschine die in der Umgebung auftauchte war sie der Auslöser einer bahnbrechenden Erfindung. Gröbli konnte die zwei verwandten Arbeiten des Nähens und Stickens verbinden. Die erste Schifflistickmaschine war 1863 von Isaak Gröbli erfunden worden. Sie legte den Grundstein zur vollständigen Mechanisierung der Stickerei. Gröbli beteiligte sich 1867 an der Weltausstellung in Paris wo die Schifflistickmaschine vorgestellt wurde und ab 1880 eroberte sie den Markt. Von den Erfolg hatte Gröbli nichts, denn die Patent- und Gewinnrechte hatten sich seine Finanziers gesichert. 1886 zog Gröbli nach Gossau wo er in der ehemaligen Weihermühle ein Stickereigeschäft eröffnete. Gröbli starb am 27. April 1917 mit 95 Jahren.
In einem afrikanischen Land, in Nigeria, wird seit Jahrzehnten das öffentliche Erscheinungsbild der Nigerianerinnen und Nigerianer in ihren farbenprächtigen, industriell bestickten Festtagskleidung das zum fixen Bestandteil der Mode geworden ist, beherrscht. Diese Aufsehen erregenden herrlichen Kreationen bestehen aus Stickereistoffen der Vorarlberger Stickereikunst.
QUELLE: Gemeinde Blatt Lustenau, 31 Oktober 1886, S 3,Feldkirchner Zeitung 6. Februar 1892, S 2, 19. Februar 1892, S 1, Werbebilder
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