OSKAR LANDAUER#

Revolver
Selbstmord

1931: Es waren keine schönen Zeiten. Noch nie hatte es so viele Selbstmorde wie jetzt gegeben. Die Tageszeitungen meldeten fast schon täglich von Menschen die freiwillig aus dem Leben geschieden waren.

Bei Komorn war die Leiche des Hofrates Dr. Ludwig Schüller aus der Donau geborgen worden. Er war nicht einmal noch bestattet, als ein neuerlicher Selbstmord die Öffentlichkeit aufhorchen ließ. Diesmal handelte es sich um den 54jährigen Bankier Oskar Landauer, Chef der Bank R. Landauer der in einem kleinen Raum des Geschäftes am Ring des 12. November 12. erschossen aufgefunden wurde.

Wie vermutet hatte er sich schon in der Nacht zum Sonntag durch zwei Schüsse ins Herz getötet aber vorher noch eine höhere Dosis Veronal genommen, um ganz sicher zu gehen.

Als sein Kompagnon Fritz Mayer,der von der besorgten Gattin Landauers verständigt wurde, in Begleitung Frau Landauers. Sonntag nachmittags in das Bankgeschäft kam, die Türen versperrt und die Schlüsselkassette beim Portier leer fand, ließ er durch einen Schlosser aufsprengen und entdeckte so die Katastrophe.

Oskar Landauer saß vornübergebeugt auf der Bank einer kleinen Kammer neben dem Chefzimmer. Seine Rechte umklammerte noch krampfhaft einen in zwei Läufen geschossenen Trommelrevolver. Auf dem Schreibtisch des Bankiers lagen drei Abschiedsbriefe an seine Frau, seine Kompagnon und seinen Rechtsanwalt.

Der Eingangstüre gegenüber war mit Klebestreifen ein Blatt Papier angebracht, auf das Landauer selbst mit großen Lettern die Worte geschrieben hatte: „Vorsicht! Nicht erschrecken!“

Er wollte anscheinend seine Freunde auf den unerfreulichen Anblick vorbereiten, ehe sie mit seiner Leiche konfrontiert wurden.

In einer Reisetasche Landauers fand man eine lange starke Rebschnur, die er zweifellos mit der Absicht gekauft hatte, sich zu erhängen.

Die Leiche wurde gegen 5 Uhr nachmittags von der Sanität in das Totenhaus Dresdnerstraße gebracht. Die Bank selbst wurde polizeilich gesperrt und wird erst freigegeben bis die Untersuchung über den Selbstmord und seine Vorgeschichte abgeschlossen ist.

Oskar Landauer ist der Sohn des Gründers seines Bankgeschäftes, Rafael Landauer, der 1869 als kleiner Bankier auf dem Schwarzenbergplatz begann und und es bald zu einem sehr namhaften Vermögen brachte. Nach dem Tod des Vaters setzte Oskar Landauer die Tradition des Geschäftes mit gutem Erfolg fort und wurde einer der angesehensten Privatbankiers am Wiener Platz, Er führte ein sehr ruhiges Geschäft mit durchaus vornehmer Klientel, erfreute sich in den Kreisen seiner Berufskollegen großen Ansehens und versah seit langem auch das Amt eines Schiedsrichters der Börsenkammer.

Vor Jahren schon war Oskar Landauer mit seinem Bankgeschäft, das in seiner besten Zeit eine ganze Reihe von Angestellten beschäftigte, vom Schwarzenbergplatz auf den Ring des 12.November, unmittelbar gegenüber der Universität, übersiedelt.

Man hatte Anlass, ihn für einen sehr vermögenden Mann zu halten, bis verschiedene geschäftliche Misserfolge – man spricht vor allem von Effekten-Ratengeschäften und unglücklichen Belehnungen - die finanzielle Situation Landauers immer schwieriger gestalteten.

Schließlich wurden nach und nach sämtliche Angestellte gekündigt; der größte Teil war Samstag zum letzten Mal ins Büro gekommen,um sich zu verabschieden, das schmerzte Landauer sehr. Man hört, dass Landauer sich seit Wochen um einen außergerichtlichen Ausgleich mit seinen Gläubigern bemühte, nach dessen Gelingen er sein Bankhaus überhaupt liquidieren wollte.

Freilich war er darüber äußerst niedergeschlagen und erklärte wiederholt, dass er nicht wisse, wovon er künftighin leben werde, da es ausgeschlossen sei, dass er noch als Angestellter unterkommen könne. Außerdem war ihm der Tod seines Freundes Hofrat Schüller und der Zusammenbruch des Bankhauses Auspitz, Lieben u. Co., sehr nahe.

Landauer bewohnte mit seiner Gattin, seiner zwölfjährigen Tochter und seinem zehnjährigen Sohn im Haus Stadiongasse 6 eine überaus vornehme Dreizimmerwohnung. Leuten, die ihn näher kannten, fiel in der letzten Zeit sein gedrücktes Wesen auf, dessen Grund man sich nicht recht erklären konnte.

Da Landauer wiederholt kleinere Reisen unternahm, fiel es seiner Gattin nicht weiter auf, als er ihr Samstag erklärte, dass er nach Graz fahren müsse, um dort mit einem Geschäftsfreund zu konferieren.

Er rief noch Samstag abends zu Hause an , die Frau glaubte, dass er vom Bahnhof aus spreche - verabschiedete sich sehr herzlich und ließ seinem Sohn sagen, er möge sich bei der ihm unmittelbar bevorstehenden Aufnahmsprüfung in die Mittelschule recht zusammennehmen.

In Wirklichkeit war Landauer nicht nach Graz gefahren, sondern in sein Büro gegangen und hatte vom Portier die Kassette mit den Geschäftsschlüsseln verlangt. Später gab er die Kassette zurück, hatte aber heimlich die Schlüssel behalten und sich damit in das Bankhaus eingesperrt. Im Chefkontor schrieb er die drei erwähnten Abschiedsbriefe, traf verschiedene Verfügungen für den Fall seines Todes und jagte sich schließlich die beiden Revolverkugeln ins Herz.

In einem Abschiedsbrief an seinem Kompagnon teilt Landauer mit, dass er den Tod suche, da er glaube, seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen zu können. Er fürchte auch, nach der Liquidation des Bankhauses, keinen ordentlichen Erwerb mehr finden zu können und sei durch die Entlassung seiner Angestellten völlig gebrochen.

Der Abschiedsbrief an den Rechtsanwalt enthält eine lange Reihe geschäftlicher Weisungen, das Schreiben an die Gattin hat durchaus persönlichen Charakter.

Landauer hat übrigens zugunsten seiner Gattin schon vor Jahren eine Versicherung abgeschlossen, die nunmehr seine Familie vor dem völligen Zusammenbruch bewahren wird.

Außer seiner Gattin und den beiden Kindern hinterlässt Oskar Landauer eine 80jährige Mutter. Er hat sich seit langem bemüht, sein Geschäft zu verkaufen und wiederholt Inserate eingeschaltet, ohne aber zu einem endgültigen Abschluss zu gelangen.

Der Bankier Oskar Landauer erfreute sich in Bankkreisen größtes Ansehen und außerordentlicher Beliebtheit. Er führte das Geschäft, nach dem Tod seines Vaters, solid und gewissenhaft weiter und verfügte über einen alten und treuen Kundenstock. So lange das Börsengeschäft noch einigermaßen funktionierte, war er der Berater seiner Kommittenten und Vermögensverwalter zahlreicher Familien. Obwohl den untersetzten und etwas beleibten Mann seine Schwerhörigkeit in der Ausübung seines Berufes ziemlich stark behinderte, war er bis zuletzt an der Börse und in Bankkreisen ein sehr beliebter Berufskollege und Geschäftspartner.

Als das Bankgeschäft in den letzten Jahren immer mehr unter der Ungunst der Verhältnisse, durch Verluste namhafter Summen auf dem Aktienmarkt und Anlagemarkt zu leiden begann und als insbesondere das Börsengeschäft sehr spärlichen Ertrag abwarf, bemühte Oskar Landauer, neue Betätigungsmöglichkeiten ausfindig zu machen. Er führte in seiner Firma das Ratengeschäft ein, finanzierte auch Teilzahlungskäufe, insbesondere Automobilkäufe, doch brachten ihm diese Geschäftszweige statt der erwarteten Erfolge schwere Verluste.

Dazu kam, dass vor ungefähr einem Jahr ein Kassier des Bankhauses R. Landauer eine große Defraudation beging, die die Firma schwer beeinträchtigte. Dieser beging später Selbstmord.

Schon vor einiger Zeit beschlossen die beiden Gesellschafter Oskar Landauer und Fritz Mayer, die Firma still zu liquidieren. Man verhandelte mit den Gläubigern, und die Angestellten sind gekündigt worden. Danach hätten die Gläubiger schon in der allernächsten Zeit Ausgleichsquoten von 25 bis 50 Prozent in barem erhalten und darüber hinaus noch Geldbeträge nach Maßnahme der Verwertung der noch vorhandenen Aktiven.

Im Hinblick darauf, dass die Firma einen guten Ruf genoss und kein wie immer gearteter Einwand gegen die Geschäftsführung vorlag, hat sich auch der Bankenverband entschlossen, das stille Arrangement mit den Gläubigern durch einen Betrag von 20.000 Schilling zu erleichtern.

Die Ereignisse der letzten Wochen, die allgemeine Unruhe und Ängstlichkeit, die heftigen Rückgänge an den Börsen, scheinen das ursprünglich beabsichtigte Arrangement über den Haufen geworfen zu haben und das dürfte die letzte Ursache für den Selbstmord des Bankiers gewesen sein.

Eine größere Auswirkung in geschäftlicher Hinsicht ist von dem traurigen Ereignis wohl nicht zu befürchten, da die Firma R. Landauer, die niemals zu den Kreis der großen Privatbanken gehört hat, in der letzten Zeit keine bedeutende Rolle mehr gespielt hat.

QUELLEN: Die Stunde, 2. Juni 1931, S 8, Der Morgen, 1. Juni 1931, S 1 und 2, ANNO Österreichische Nationalbibliothek

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