PAULA VON ROSTHORN#
Am 7. Juli 1900: Der östereichisch-ungarische Geschäftsträger in Peking: Über den Legationssekretär von Rosthorn, der in Abwesenheit des beurlaubten Gesandten in den letzten furchtbaren Tagen die Geschäfte der österreichisch-ungarischen Gesandtschaft in Peking zu führen hatte, liegen in der „Klagenfurter Zeitung“ folgende interessante Mitteilungen vor: Dr. Arthur von Rosthorn ist ein gebürtiger Wiener; sein Vater war der Gewerbe Inspektor Joseph Edler von Rosthorn, seine Mutter Josephine eine geborene Freiin von Manndorff. Von ernsten literarischen Neigungen beherrscht, wendete er sich, nachdem er das Gymnasium in Wien und Klagenfurt absolviert hatte, seinem inneren Drange folgend, zunächst philologischen Studien zu und ging – dies allein schon ein Beweis seines tieferen Strebens, nach Oxford, um Philologie und vergleichende Sprachwissenschaft an der Stätte zu studieren, wo Lehrer, wie Max Müller und Legger, tradierten, dort wurde er denn auch im Zuge seiner Studien auf das Indische und Chinesische gewiesen in denen die linguistische Forschung die Wurzeln unserer heutigen Sprachen sucht. Binnen verhältnismäßig kurzer Zeit nahm er denn auch speziell das Chinesische so in sich auf, dass er es trotz der ungeheuren Schwierigkeiten, die es dem Europäer bietet, in Wort und Schrift tadellos beherrschte. Neben seinen Sprachstudien beschäftigte er sich auch mit Belletristik, und er veröffentlichte seinerzeit einige novellistische Arbeiten, die sich durch Stimmung, hübsche Beobachtungen und reinen, durch seine philologischen Studien gebildeten Stil auszeichneten. Seine nicht gewöhnliche Fähigkeiten lenkten die Aufmerksamkeit seiner Lehrer auf ihn, und er schien bestimmt für eine wissenschaftliche Laufbahn. Aber ein alter Freund seines Vaters, der hervorragende Reisende und Statistiker Doktor von Scheyr, der Generalkonsul in China war, gab seinen Plänen eine andere Richtung, denn auf Anregung Scheyrs meldete sich der junge Mann, der damals erst 22 Jahre alt war, zum Eintritt in den Dienst der chinesischen Verwaltung. Die Sache machte anfangs Schwierigkeiten, aber Dank den Beziehungen zu maßgebenden Persönlichkeiten setzte es Dr. von Scheyr doch durch, dass sein junger Schützling in einer ihm zusagenden Position untergebracht wurde. Bei der hervorstechenden Aversion der Chinesen gegen alles Fremde waren Stellungen im chinesischen Dienst damals nur für Engländer, die man fürchtete, erreichbar; den jungen Rosthorn akzeptierte man auch nur Dank der Fürsprache des Chefs des chinesischen Zollwesens, Sir Robert Hart, an den ihn Dr. Steyr empfohlen hatte. Ungewöhnlich aufgeweckten Geistes, hatte nun Rosthorn auch alle Gelegenheit, Einblicke in die internen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen Chinas zu tun, die sonst dem Auge des Fremden verschleiert bleiben. Er suchte Gelegenheit, sich mit Canton bekannt zu machen, wo damals Li-Hung-Tschang als Vizekönig residierte, er weilte in Peking, Shanghai und anderen Emporien Chinas und unternahm, so oft sich die Möglichkeit bot, Reisen in das Innere, dabei immerfort an seinen Studien arbeitend, als deren Frucht er mehrere philologische Arbeiten verfasste, die er auf dem Orientalistischen Kongress in Genf vor die Öffentlichkeit brachte und die in gelehrten Kreisen Anerkennung fanden. Auch die Geografische Gesellschaft in Wen besitzt von ihm einen umfangreichen und ebenso instruktiv als lebendig geschriebenen Bericht über eine Reise, die er nach Tibet gemacht hatte. Namentlich bei der Beschreibung dieser letzten Reise kamen ihm jene Eigenschaften zustatten, durch die er sich schon in jungen Jahren so vorteilhaft bemerkbar gemacht hatte, nämlich die Kunst, die Ergebnisse ernsten Forschens in anziehender Form zur Darstellung zu bringen. Der mehrjährige ununterbrochene und dazu noch in ernster, ja oft erschöpfender Arbeit in fremden Klima verbrachte Aufenthalt in China begann auf seine Gesundheit ungünstig einzuwirken. Zur Erholung in die Heimat zurückgekehrt, ersetzte er die Studien - durch neue Studien und erwarb in Leipzig das Doktorat der Philosophie. Was Ruhe ist, begriff dieser ewig rege und tätige junge Mann nicht. Die Arbeit war sein Element; an den Trubel jener ungeheuren Weiten gewöhnt, spottete er des heimatlichen Quietismus und bald zog es ihn wieder zurück. Und diesmal hatte er nicht mehr einen Protektor, bloß man hatte ihn in den verschiedenen Agentien in China in angenehmer Erinnerung,und besonders einer, der später auf so tragische Weise aus dem Leben geschiedene österreichisch-ungarischen Generalkonsul von Haas – er stürzte, wie man sich erinnern dürfte, während einer Fahrt ins Meer und ertrank – wünschte ihn so sehr zurück, dass er sich um seine Heranziehung für den diplomatischen Dienst unserer Monarchie in China lebhaft bemühte. Da dies nicht gleich gelang, kehrte Rosthorn vorläufig noch einmal in den Dienst der chinesischen Regierung zurück; aber die politischen Veränderungen, die sich inzwischen in Ostasien vollzogen hatten, hatten endlich auch bei uns ein intensives Interesse für die dortigen Gestaltungen wach gerufen, so dass man für die österreichisch-ungarischen Vertretungen nach erprobten Männern Chinas Ausschau zu halten begann, und nun lenkte sich naturgemäß das Augenmerk auf Rosthorn. Er wurde gelegentlich eines Besuches in Europa in das Ministerium des Äußeren berufen, wo der Minister des Äußern , Graf Goluchowski, persönlich in längerer Unterredung sich von ihm Bericht erstatten ließ, worauf er sofort mit dem Titel eines Sekretärs zur neu kreierten österreichisch-ungarischen Gesandtschaft in Peking beordert wurde. Herr von Offenheim, der als Erster die Leitung der Gesandtschaft übernehmen sollte, starb, bevor er seinen Posten antreten konnte; seinem Nachfolger Baron Czikann also wurde Rosthorn attachiert. Wie schon früher, bewährte sich Dr. von Rosthorn auch in dieser neuen Stellung außerordentlich; er versah die Agenten mit ebenso viel Gewissenhaftigkeit als Geschick.
Vor vier Jahren heiratete er. Auch seine junge Gattin ist eine Wienerin, und zwar die Tochter des Zahnarztes Dr. Pichler. Beide standen mit ihren Angehörigen in Klagenfurt in reger Korrespondenz. Ihr letzter Brief ist vom Ende April datiert; in diesem Schreiben werden vornehmlich familiäre Angelegenheiten behandelt. Seitdem ist weder von Dr. Rosthorn noch von seiner Gattin ein Brief bei ihren Wiener Verwandten eingelaufen. Die Familie ist in großer Sorge um das junge Paar.
Unter den in Peking eingeschlossenen und von den Chinesen belagerten Europäern befindet sich auch die junge und anmutige Gemahlin des österreichisch-ungarischen Geschäftsträgers und Legations-Sekretär Dr. von Rosthorn, an dessen Seite sie nun .die Schreckenstage in Peking durchzumachen hat. Frau von Rosthorn ist eigentlich nur durch einen unglücklichen Zufall in Peking zurückgehalten worden. Da sie zum ersten Male Mutterfreuden entgegen sah, wollte sie, einem Wunsch ihrer Wiener Angehörigen folgend, nach Europa zurück kehren und hatte sich bereits von Peking nach Taku begeben, um dort das Schiff zu besteigen, das sie in die Heimat führen sollte. Da Frau von Rosthorn jedoch auf dem Schiff keinen Platz mehr fand, kehrte sie nach Peking zurück. Indessen brach der Aufruhr in China los, kein Europäer konnte Peking verlassen, und so musste auch Frau von Rosthorn, für die sich allgemein die regste Teilnahme geltend macht, das Schicksal der anderen in der chinesischen Hauptstadt Eingeschlossenen teilen.
Wie das Illustrierte Wiener Extrablatt am 17. Juli 1900 meldet sollen weitere österreichisch-ungarische Kriegsschiffe nach China entsendet werden und zwar der Kreuzer „Kaiser Karl VI.,“ und das Torpedoboot „Aspern“.
In dem genannten Blatt wird ein Brief von Dr. Rosthorn erwähnt: „Freiherr Rudolph von Manndorff, ein Onkel Rosthorns, hatte in den letzten Tagen Gelegenheit, mit einem nicht näher genannten Kenner der chinesischen Verhältnisse zu sprechen und Einsicht in einen Brief zu nehmen, den Dr. Rosthorn am 19. April aus Peking an den erwähnten Gewährsmann geschrieben hat.
Der letzte, vom 19. April datierte Brief Rosthorns spricht von harmlosen Vorkommnissen z. B., der bevorstehenden Abreise der meisten Gesandten in die Sommerfrischen, dass ist in die Tempel in die Umgebung Pekings. Diese sind in den Monaten Mai und Juni von Tausenden von Wallfahrern umlagert, dann aber stehen sie ganz einsam und verlassen. In dieser Zeit nun mieten die wohlhabenden Europäer, vor allem die Botschafter und ihre Familien, die leer stehenden Unterkunftsgebäude der Pilger, freilich nach vorhergegangener, sehr gründlicher Reinigung und Desinfektion. Ist diese erfolgt, so sind die in schattigen Gärten stehenden Gebäude ein leidlich guter Aufenthalt; und sie bieten wenigstens eine erholende Abwechslung nach dem Aufenthalt in dem übervölkerten Peking, und es gehört der Sommeraufenthalt in den Tempeln schon zur Gewohnheit und zum guten Ton. Die eigentlichen Tempelgebäude bleiben dabei unbenutzt und sind gewöhnlich unter der Obhut der dort wohnenden Priestergehilfen. Die Bewohner der umliegenden Dörfer sind gegen die Sommerfrischler in ihrer Weise sehr artig und zugleich sehr neugierig. In einer Stelle des Briefes heißt es, die Boxer als einer damals noch ganz unberechenbaren Gefahr, deren Ausbruch ja nur vom Barometer abhängt. So lange die Leute ernten, und Arbeit haben und durch das Ausbleiben des Regens keine Missernten zu erwarten sind bleibt alles ruhig. Wenn aber Hungersnot herrscht und die Leute nichts zu tun haben, dann sind sie schnell bereit auf die Fremden los zu gehen, um diese auszurauben.
Der „Daily Express“ meldet vom 14. Juli aus Shanghai, dass sämtliche Ausländer in der britischen Gesandtschaft ermordet worden sind. Frauen mit ihren Kindern Hungerqualen litten, da sie seit Tagen keine Lebensmittel mehr hatten. Ein Angriff einer 200 Mann starken chinesischen Truppe wurden von den Legationswachen getötet. Tung Fu Hsiangs Truppen die die Tore der Gesandtschaften besetzt hielten wollten die Gesandtschaft stürmen, stießen auf verzweifelten Widerstand und zogen sich zurück. Wütend durch den Widerstand und Verluste seiner Truppen ließ General Tung schwere Geschütze auffahren und die Gesandtschaft beschießen bis sie zerstört war und in Flammen aufging. Alle Menschen die sich darin aufgehalten haben, kamen in den Flammen um.
Durch den Läufer war zu erfahren, nachdem Tung mit schweren Geschütz aufgefahren war und die Gesandtschaft beschoss, die Fremden wurden ebenfalls toll und erschossen ihre Frauen und Kinder mit ihren Revolver. Als die schweren Kanonen geladen waren, wurden sie alle gleichzeitig abgefeuert. Die Fremden wurden niedergemacht, die Boxer stürzten sich auf die Gefallenen und zerhackten Lebendige wie Tote, sie gebärdeten sich wie wilde Bestien, und verfolgten flüchtende Fremde ins Gebäude wo sie dann verbrannten, Als es keine Ausländer mehr zu töten gab, verstümmelten sie die umher liegenden Leichen, dann griffen sie die Quartiere der eingeborenen Christen an und metzelten alle nieder.
Von Österreich-Ungarn waren vier Kriegsschiffe nach China unterwegs. Der Rammkreuzer „Kaiserin Elisabeth“, der Torpedokreuzer „Aspern“, so dass mit der „Zenta“ und „Maria Theresia“ eine ganze Eskadre vereinigt sein werden.
Es gab noch einen anderen Kampf, den Kampf gegen die Lüge, die von chinesischen Staatsmänner, Gesandten und sonstigen Würdenträger in alle Welt posaunt wurde, darin zeigten sie sich als wahre Meister mit Vollendung.
Ein neuerlich eingetroffener Brief vom 31. Mai von Frau Rosthorn erzählt noch im Plauderton, dass sie sich keineswegs vor den Boxers fürchte.
Die „Wiener Abendpost“ meldet vom 18. August 1900: Heute ist die erste direkte Nachricht aus Peking in Wien eingetroffen, welche über das Schicksal der Österreicher in der chinesischen Hauptstadt genauen Aufschluss gibt. Vom Schiff „Maria Theresia“ ist gestern an die Marine Sektion ein Telegramm aus Che Foo eingelangt, welches im wesentlichen folgendes mitteilt: „Brief von Linienschifffahrts-Leutnant Winterhalder und Legationssekretär Rosthorn vom 5. August durch Gouverneur Yuan erhalten. Kommandant Fregatten Kapitän Thomann von Montalmar 8. Juli durch Granate sofort getötet. Er hatte als der Rangältester das Kommando über die gesamte internationalen Schutztruppe von der Zenta aus geführt, und 140 Mann an Land gesetzt, dreißig davon sind umgekommen, Matrosen Josef Detan, Marco Badurina, Alfred Tavagna tot; Seekadett von Boyneburg, Matrosen Paul Triscoli, Marin Bacic schwer verwundet; Linienschifffahrts-Leutnant Winterhalder und Kollar, Legationssekretär von Rosthorn, Matrosen Georg Petrovac, Josef Bernardis, Leonardo Tatburus und Anton Stiglic leicht verwundet. Frau von Rosthorn besorgt die Krankenpflege, Kaiserin Witwe in Peking vorbereitet zur Flucht. Österreicher in französischer Gesandtschaft, Munition genug, Proviant fünf Wochen. Rosthorn telegrafierte obiges via Berlin“
Zur Erläuterung, und Ergänzung dieser knappen telegrafischen Meldung sind wir in der Lage, folgendes mitzuteilen: Der Absender des Telegrammes, Linienschifffahrts-Leutnant Theodor Ritter von Winterhalder, ein besonders Sprachen kundiger See-Offizier, gehört nicht der von Seiner Majestät Schiff „Zenta“ nach Peking detachierten Abteilung an, sondern hatte sich in Begleitung des Schiffskommandanten Fregatten-Kapitäns Eduard Thomann Edlen von Montalmar nach Peking begeben.- Zu dem Detachement gehörten Linienschifffahrts-Leutnant Josef Kolar als Kommandant, die Seekadetten Richard Freiherr von Boyneburg-Lengsfeld und Thomas Mayer nebst 30 Mann. Da aber weder Thomann noch Winterhalder aus der Hauptstadt nach Tien-Tsin beziehungsweise Taku zurückkehren konnten, blieben sie bei dem Detachement, das zuerst die österreichisch-ungarische und belgische, dann die französische Gesandtschaft verteidigte. Der Gesamtverlust 13 Tote und Verwundete. Bei zunehmender Gefahr als die Erhaltung der Gesandtschaft zweifelhaft schien, die sogenannte „Taktik“ das Signalbuch unserer Kriegsmarine verbrannten. Bei der Eroberung Tien-Tsins war dem österrichisch-ungarischen Detachement vergönnt, mit besonderer Energie in die Entscheidung einzugreifen. : Wie das Wiener Salonblatt am 2. September 1900 meldet begibt sich Dr. Arthur von Rosthorn mit seiner Gemahlin nach Tientsin und Tschifu, von wo Frau von Rosthorn welche einem freudigen Ereignis entgegensieht, nach Europa abzureisen gedenkt. Herr und Frau von Rosthorn werden sich dem Detachement des italienischen Schiffsleutnant Paolini anschließen, welcher die österreichischen und italienischen Verwandten nach Tientsin geleiten wird.
Im Oktober 1900 konnte man endlich mehr über die Vorgänge in China erfahren, denn Dr. von Rosthorn war bereit Berichte über die Pekinger Schreckenstage zu veröffentlichen. Je weiter die Berichte fortschreiten und sich den Tagen der Belagerung der Gesandtschaften durch die Boxer und chinesischen Truppen nähern, umso interessanter werden sie. Dr. von Rosthorn weiß überdies die Begebenheiten die er in Peking miterlebt hat, mit musterhafter Klarheit und größter Anschaulichkeit zu schildern.
Am Morgen des 10. Juni liefen zwei Telegramme aus Tientsin ein, deren eines den Abgang der Entsatz Kolonne Seymour von zirka 1100 Mann verkündete, während das andere die Mitteilung brachte, der Vizekönig habe die Trains beigestellt und die Kolonne werde um 10 Uhr abgehen.
Nachmittags sandte der japanische Gesandte einen Kanzleibeamten zum Bahnhof, um Nachrichten einzuholen. Dieser wurde unterwegs von Soldaten Tung-Fu-Siangs überfallen und ermordet. Dieser Vorfall rief namenlose Aufregung unter der Bevölkerung hervor. Es verlautete, die Tore der äußeren Stadt wären geschlossen. „um mich hiervon zu überzeugen“ schreibt Dr. von Rosthorn - „ritt ich am 12. morgens mit Herrn Linienschiffs-Leutnant Winterhalder bis zum äußeren Stadttor. Es war nahezu kein Verkehr in den Straßen, aber die an einzelnen Punkten angesammelten Müßiggänger zeigten eine entschieden feindselige Haltung. Auch erfuhren wir später, dass bei unserem Herannahen sich Kansusoldaten außerhalb des Tores in Hinterhalt gelegt hatten, um uns zu überfallen. Wir kehrten jedoch innerhalb des Tores um, und seither hat kein Europäer dieses Tor passiert.“
Die österreichisch-ungarische Gesandtschaft war der am meisten gefährdete Eckpunkt des Carrés, weil sie von drei Seiten angegriffen und die Rückzugslinie leicht abgeschnitten werden konnte. Der erst Boxerangriff erfolgte am 13. Juni, „Gegen Abend“ schreibt Dr. von Rosthorn „herrschte große Bewegung in den Straßen des Fremdenviertels. Die chinesischen Diener hatten uns insgesamt heimlich verlassen, und die Christen, welche bei uns aushielten, meldeten in höchster Bestürzung, dass durch das Südtor über tausend Boxer in die Stadt gedrungen seien. Bald darauf stand auch bereits eine Kapelle in nächster Nähe der Legationsstraße in Flammen und eine riesige Menschenmenge, bewaffnet mit Speeren, Schwertern und Feuerbränden, wälzte sich mit anwachsender Dunkelheit durch die an unser Terrain anstoßende Straße an uns heran. Sie ergoss sich jetzt durch die Hauptstraße nach Norden wo in rascher Folge die Häuser der Zollverwaltung, die Residenz des chinesischen Gesandten in Paris, die Gebäude der American Board Mission und die große katholisch Kathedrale Tung-Tang in Flammen standen. Darin wurden ein französischer Missionar und über 200 Christen, meist Frauen und Kinder, ermordet und verbrannt. Nur wenige konnten sich, arg verstümmelt und versengt, in unser Viertel flüchten. Nach Mitternacht näherten sich die Brandstifter unserer Gesandtschaft noch einmal von Norden her, wurden jedoch abermals durch Schnellfeuer rasch vertrieben“.
Da sich die Boxerangriffe wiederholt an den Mauern und Barrikaden der Gesandtschaft gebrochen hatten, und da die Peitangkathedrale, wo die katholischen Missionare und mehr als 2000 chinesische Christen eingeschlossen waren, wirksam durch ein Matrosen-Detachement von 20 Franzosen und zehn Italienern verteidigt wurde, wandten sich die Inturgenten nach Zerstörung aller Missionsanstalten und fremden Wohnhäuser gegen jene ihrer Landsleute, die ihnen irgendwie verdächtig schienen. Apotheken, Uhrmacherläden, Fotoateliers, kurz alle Geschäfte mit ausländischen Waren wurden angezündet, und die um sich greifende Feuerbrunst äscherte ganze Häuserreihen im reichsten Viertel der Chinesenstadt ein. Scharen von Marodeuren zogen im Gefolge der Boxer durch die Stadt und vollendeten das Werk der Zerstörung. Am 16. Juni brannte auch das große, für den Kaiser reservierte Portal am Stadttor der Mandschurenstadt nieder.
Se. Majestät der Kaiser hat den k. u. k. Legationssekretär in Peking Dr. Arthur Ritter von Rosthorn zum k.u.k. Legationsrat zu ernennen und ihm das Ritterkreuz des Leopold Ordens zu verleihen geruht. Ferner hat der Monarch Frau Paula von Rosthorn-Pichler den Elisabeth Orden II. Klasse verliehen.
Dezember 1900 Heute Nachmittag ist Legationsrat Dr. von Rosthorn mit seiner Gemahlin aus Peking, beziehungsweise Alexandrien, wo sie auf ihrer weiten Fahrt zuletzt Rast gehalten, in Triest angekommen. Von hier aus werden Herr und Frau von Rosthorn nach Wien weiter reisen, vorher sich jedoch nach Venedig und Meran begeben. In Wien wird der Legationsrat mit seiner Gemahlin nach den außerordentlichen Gefahren und Aufregungen, die sie, während der langwierigen harten Belagerung durch die Chinesen zu bestehen hatten, einige Zeit der Erholung widmen. In Triest waren von der Ankunft des Legationsrates nur sehr wenige Personen unterrichtet. Zur Begrüßung des Diplomaten und seiner Gattin hatten sich, wohl nur aus diesem Grund, bloß die Angehörigen der beiden, ferner der Präsident des Österreichischen Lloyd in Triest, Baron Kalchberg, eingefunden. Von der Familie waren erschienen; Der Vater der Frau von Rosthorn, der Wiener Zahnarzt Dr. Pichler, der Bruder des Legationsrates Univ.-Prof. Dr. Alfons von Rosthorn aus Graz, ferner mehrere Damen der Familie.
Es war um die Mittagszeit, als der Lloyddampfer „Habsburg“, auf dem Dr. von Rosthorn die `Überfahrt von Alexandrien angetreten hatte, vom Molo aus sichtbar wurde. Es dauerte, wie dies bei allen großen Passagierdampfern der Fall ist, ziemlich lange, bis die „Habsburg“ landen konnte, da um dieselbe Zeit an der Landungsstelle der Dampfer „Semiramis“ die letzten Zurüstungen zu seiner Abreise nach Alexandrien traf, und derselbe erst den neuen Hafen verlassen musste, ehe der „Habsburg“ einfahren konnte. Nun zogen sich diesmal die Reisevorbereitungen der „Semiramis“ ein wenig in die Länge, so dass der „Habsburg“ auf hoher See Anker werfen musste. Kurz vor 1 Uhr verließ die „Semiramis“ die Landungsstelle, und erst eine Stunde später konnte der „Habsburg“, nachdem die behördliche Visitierung vorgenommen worden war, landen.
Voll Ungeduld warteten die Familienmitglieder, die Damen mit mächtigen Blumensträußen, die Ankunft des Legationsrates und seiner Gattin. Plötzlich vernimmt man aus dieser Gruppe laute Ausrufe; die Damen und Herren wehen mit den Taschentüchern, und gleichzeitig gewahrt man auf dem Deck des nahenden Dampfers einen Herrn und eine Dame die, aneinander geschmiegt das Tücher schwenken lebhaft erwidern.
Als erster verließ Dr. von Rosthorn den Dampfer, knapp hinter ihm folgte seine Gemahlin. Mitten auf der Landungsbrücke näherte sich ihnen Baron Kalchberg und begrüßte sie, dann begaben sie sich zu ihren Angehörigen von denen sie herzlich begrüßt wurden.
Dr. Arthur von Rosthorn ist ein Mann von 38 Jahren, schlank von ziemlich hoher Gestalt, ein langer, dünner, blonder Schnurrbart in dem sonst glatt rasierten Antlitz. Er trägt einen Reiseanzug. Sein ganzes Wesen macht den Eindruck einer gewissen Müdigkeit. Dagegen ist seine Gattin voller Frische und Munterkeit. Sie ist eine mittelgroße, feine und schmiegsame Gestalt. Das brünette Haar umrahmt ein rundes Gesicht mit den lebhaften dunklen Augen voll Liebreiz, ihre Haltung und ihr ganzes Gehaben erinnern sofort an die Wienerin.
Der Legationsrat begab sich mit seinen Angehörigen in das Hotel Delorme. Am anderen Morgen wollte das Ehepaar nach Venedig, Meran, und dann erst nach Wien reisen.
Durch die Verwandten der Frau von Rosthorn erfuhr man weitere Einzelheiten über die Ereignisse in Peking.
Während der Schreckenstage des letzten Sommers in Peking befand sich außer Frau von Rosthorn nur noch eine einzige Dame in der belagerten, schwach verschanzten französischen Gesandtschaft. Die übrigen Damen waren in die ungleich stärker befestigte englische Gesandtschaft gebracht worden. Frau von Rosthorn pflegte die Kranken, leitete die Offiziersmesse und war stet gleich unermüdlich tätig. Sie trug die Entbehrungen mit eben so víel Geduld wie das Corps der Combattanten und Diplomaten, die dort belagert waren, und zeigte sich wie diese ausdauernd und tapfer. Man wunderte sich immer, wieso es kam, dass das Heer von vielen tausenden Boxers die von einer schwachen Zahl von Europäern verteidigte Gesandtschaft nicht in seine Gewalt zu bringen vermochte.. Erklärten doch doch die europäischen Offiziere, dass sie das Gebäude binnen wenigen Tagen mit einer Handvoll Soldaten gewiss in Schutt gelegt haben würden. Der lange und erfolgreiche Widerstand ist nun nicht nur der unglaublichen Ungeschicklichkeit der Boxers im Gebrauch von Waffen, sondern auch ihrer beispiellosen Feigheit zu danken. Der Chinese ist – das werden alle Kenner der Verhältnisse bestätigen – sogar zum Gewehrhalten zu feige; man sah dies auch an der förmlichen Zaghaftigkeit, mit der die Boxers schossen.
Ohne dass die Belagerten Hunger gelitten hätten, mussten sie doch viele Entbehrungen ertragen. Dass sie überhaupt so lange Zeit noch zu essen hatten, ist das Verdienst eines Hoteliers in Peking, eines gebürtigen Schweizers, der kurz vor Beginn der Belagerung die Situation richtig erfasste und in aller Eile drei Getreideläden einfach aushob, das Getreide nach seinem Haus bringen, vermahlen und dann das Mehl in die französische Gesandtschaft schaffen ließ. Nur dadurch hatte man genügend Brotvorräte. Außer Brot ass man nur noch Pferdefleisch, sonst aber gar nichts. Dieses Fleisch bekam vielen sehr schlecht, insbesondere den Kindern, von denen mehrere nach dem Genuss desselben starben. Man darf aber nicht glauben, dass die chinesische Regierung, wie sie allerorten berichtete, die Belagerten irgendwie entsprechend versorgte. Was sie gelegentlich sendete, waren einige Melonen, einige Gurken und für jede Gesandtschaft außerdem je einen Sack Mehl – das war alles, was sie zur Deckung der Lebensbedürfnisse der zu jener Zeit bereits auf die denkbar schmalsten Kostrationen gesetzten Kombattanten tat. Übrigens geschah auch das erst, als Tientsin von den europäischen Entsatztruppen bereits genommen und die Entsetzung der Gesandtschaften in Peking so gut wie sicher war.
Es ist bekannt, dass die von den europäischen Gesandtschaften mit Nachrichten entsendeten chinesischen Boten bis auf einen einzigen verschwunden sind. Bis auf diesen hat keiner von ihnen seine Mission erfüllt. Ob sie einfach durchgegangen oder ergriffen oder getötet worden sind, ist seither nicht bekannt geworden. Aber auch der schon erwähnte chinesische Bote, der seiner Aufgabe gerecht geworden, ist von den Boxers zurückgehalten ud acht Tage lang nicht frei gelassen worden. Man hat außer dem ihm in den Rock eingenähten Brief mit wichtigen Nachrichten für das in Tientsin lagernde Entsatzheer nichts gefunden. Dieser Chinese leistete der Gesandtschaft große Dienste. Gewiss sehr interessante, wenn auch nicht sonderlich angenehme Erinnerungen bringt das tapfere, junge Ehepaar mit, welches vor wenigen Tagen, von seinen Angehörigen mit freudigem Jubel begrüßt, aus fernstem Osten nach Europa zurückgekehrt ist. Nach dem Sprichwort braucht einer nur eine ganz harmlose Reise zu tun, um was erzählen zu können – was kann man aber erst erzählen, wenn man in weiter Ferne so verhängnisvolle Tage durchlebt hat, wie das heimgekehrte junge Ehepaar! Wir haben schon vor einiger Zeit an dieser Stelle auf das ganz besondere und sehr motivierte Interesse hingewiesen, mit welchem die Wiener Gesellschaft dieser Rückkehr entgegensieht – nun werden Herr und Frau von Rosthorn binnen kurzem in Wien eintreffen, um sich im Kreis ihrer Lieben, ihrer Freunde von den zweifelhaften Genüssen ihres Pekinger Aufenthaltes zu erholen. Das tapfere Ehepaar wird es vielleicht schwerer haben, den Ansturm der Wiener Geselligkeit, aus jenen der blutdürstigen Boxers abzuwehren, und sein Erholungsbedürfnis wird sich nicht leicht mit den Anforderungen dieser Geselligkeit in Übereinstimmung bringen lassen. Aber man wird doch ein bisschen Rücksicht nehmen müssen und es der mutigen Frau, die an der Verteidigung der schwer bedrängten Europäer in der chinesischen Hauptstadt so tatkräftigen Anteil genommen, nicht allzu sehr verübeln, wenn sie es hier und da, eben aus Erholungsbedürfnis, ablehnen sollte, an dieser oder jener gesellschaftlichen Veranstaltung teilzunehmen und derselben durch die Ruhmes-Aureole, welche ihren Namen umgibt, zu verstärkter Anziehungskraft zu verhelfen. Ganz und gar wird die tapfere Dame, wie gesagt, den heißen Ansturm der Wohltätigkeit Festkomitees kaum abwehren können - jedenfalls werden sich jene Komiteemitglieder gratulieren dürfen, die Frau von Rosthorn etwa dazu bewegen werden, bei einem großen Wohltätigkeitsbasar als Verkäuferin in einem chinesischen Zelt zu fungieren – in chinesischem Kostüm natürlich, dem Komitee-Ehrgeiz sei mit dieser Andeutung ein stolzes Ziel gesteckt.
Eine Depesche des „Standard“ aus Shanghai vom 14. Dezember 1900 besagt, Tschau-Tschi-Tung habe die Mitteilung erhalten, die Kaiserin habe sich mit folgenden Friedensbedingungen einverstanden erklärt. Baldige Rückkehr des Kaisers nach Peking, Zahlung einer Entschädigung in der Höhe von 50 Millionen Pfund Sterling, Einführung einer Schutzwache von je 2000 Mann für jede fremde Gesandtschaft und Einsetzung je eines fremden Beraters für jede Provinz des chinesischen Reiches.
Die letzten Nachrichten deuten darauf hin, dass der deutsche Gesandte von Mumm an dem Versprechen Deutschlands, von der Forderung der Todesstrafe für die Führer des Aufstandes abzusehen, festhalte.
Wie das Vaterland meldet wird heute, am 22. Dezember 1900 mittags der aus Peking heimgekehrte Legationsrat Dr. Arthur von Rosthorn und seine Gemahlin von Seiner Majestät dem Kaiser in Privataudienz empfangen. Der Kaiser empfing das Ehepaar sehr huldvoll. Dr. von Rosthorn und Gemahlin statteten dem Kaiser den Dank für die ihnen verliehenen Auszeichnungen ab und entwarfen sodann, einer diesbezüglichen Einladung des Monarchen folgend, Schilderungen der Tage von Peking während der Belagerung der Gesandtschaften. Der Kaiser hörte diese Mitteilungen mit großer Aufmerksamkeit an. Die Privataudienz war von längerer Dauer. Der Kaiser verabschiedete am Schluss der Audienz den Legationsrat und dessen Gemahlin in freundlichster Weise.
Im April 1908 kam Frau Paula von Rosthorn wieder in die Schlagzeilen der Journale:
„Auf Frau Paula von Rosthorn, die Gemahlin des österreichisch-ungarischen Gesandten in Teheran, Herrn Arthur von Rosthorn, wurde am 11. April 190, als sie mit der Gemahlin des russischen Gesandten zusammen von einem Diner im Wagen zurück kehrte, von einem Soldaten ein Schuss abgegeben. Die Kugel ging haarscharf an den beiden Damen vorbei. Frau von Rosthorn stieg sofort aus, ging auf den Soldaten zu und entriss ihm das Gewehr, das sie mit sich nahm. Als der Soldat seiner Waffe nacheilte, wurde er in der Nähe der russischen Gesandtschaft von herbeigeeilten Gesandtschaftsdienern festgenommen.
Frau von Rosthorn hat sich schon in China durch ihre Unerschrockenheit hervorgetan, als im Jahr 1900 die Boxerunruhen ausbrachen, die am 20. Juni zur Ermordung des deutschen Gesandten von Ketteler und dann zur Belagerung der europäischen Gesandtschaften in der chinesischen Hauptstadt durch Aufständische führten. Die österreichische Gesandtschaft war gleich bei Beginn des Aufstandes von den Boxern niedergebrannt worden. Die obdachlos gewordenen österreichischen Herren – und mit ihnen auch die einzige Dame, Frau von Rosthorn – fanden in der französischen und deutschen Gesandtschaft Unterkunft, und hier war es, wo sie damals bereits ihre Unerschrockenheit nach jeder Richtung hin bewies. An der Seite ihres Gatten hielt sie im schärfsten Feuer stand, half beim Verbinden der Verwundeten, trug zu ihrer Labung Wasser herbei und hantierte auch mehr wie einmal mit dem Kochlöffel, wenn es galt, für die auf den vordersten Posten aushaltenden Männer warmes Essen bereiten. Interessant war auch, dass beim ersten Gefecht, welches im September 1900 die Seebataillone hatten - das heißt bei Eroberung von Liang-hsiang-hsien – im Tempel dieses Ortes ein Reisekoffer der Frau von Rosthorn gefunden wurde, den seinerzeit die Boxer beim Niederbrennen des Gesandtschaftsgebäude geraubt hatten. Ein Zweifel war nicht möglich, denn er trug den auf dem Messingschild eingravierten vollen Namen der Dame. Natürlich war der Koffer leer.
Auch Pierre Loti gedenkt ihrer in seinem Buch über die Schreckenstage von Peking.
Die Nachforschungen nach den Personen, die im Monat Februar ein Bombenattentat auf den Schah von Persien unternahmen, wobei verschieden Unbeteiligte ums Leben kamen, haben erst jetzt zu einem Ergebnis geführt, das einigermaßen sicher erscheint. In Teheran nämlich wurden 5 Angestellte eines Elektrizitätswerkes verhaftet, das einem hochgestellten Perser gehört. Sie sind dringend verdächtig an dem Attentat beteiligt gewesen zu sein.
QUELLEN: Linzer Volksblatt, 21. August 1900, S 2, Vaterland 8. Juli 1900, S 5, Ill Wiener Extrablatt 19. Juni 1900, S 3 und 4, 20. Oktober 1900, S 2, Wiener Salonblatt 16. Dezember 1900, S 3, Vorarlberger Volksblatt 12. April 1908, S 3.BILDER: P. v. Rosthorn Ill.Kronen Zeitung 12. April 1908 S 8, A.v.Rosthorn Ill.Wiener Zeitung 10.Juli 1900 S 3, Attentat Ill. Neue Zeitung 17. April 1908,S 1,Attentat Wr Bilder 15. April 1908 S 5, Peking-Bilder: Ill Wiener Extrablatt 10. Juli 1900 S 1 und S 4, Schulschwestern,Neuigkeitsweltblatt 8. September 1900, S 13 ANNO Österreichische Nationalbibliothek
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