PNEUMATIK#
1913: Das 19. Jahrhundert darf wohl als sehr fortschrittlich angesehen werden, speziell die Beförderungsmittel die durch gründliche Umwälzungen gekennzeichnet waren. Schon die Lokomotive für die Eisenbahn sorgte für bequemes Reisen und jedes Ziel war dadurch viel rascher zu erreichen. Eine ausgezeichnete Erfindung war das Fahrrad das für jedermann ein ideales Fortbewegungsmittel darstellte. Die Krönung allerdings ist und bleibt das Auto.
Das Rad wurde erst durch die Pneumatik vollkommen, denn nur die Pneumatik Bereifung konnte jede Unebenheit ausgleichen und ein sicheres und angenehmes Fahren gewährleisten. Allerdings einen Nachteil gab es trotzdem. Sollte die Bereifung durch irgendeinen Gegenstand defekt werden war der Besitzer einer Hilflosigkeit ausgesetzt, denn damals war der Schlauch in die Decke eingenäht und die so zusammengesetzte Bereifung auf die Felge geleimt.
Nun wurde es kompliziert, denn der Reifen musste von der Felge losgelöst werden, die Deckennähte wurden aufgetrennt, um den Schlauch zu reparieren, danach die Prozedur auf gleiche Weise wieder instand zu setzen. Das war nicht nur mühsam sondern mehr als Zeit raubend, und verdarb einem die Freude an dem Fahrrad.
Der Retter für diese unliebsamen Übelstände hieß Edouard Michelin, der zu dieser Zeit in Clermont-Ferrand in Frankreich eine Gummifabrik besaß, machte sich bereits Gedanken wie man von dieser lästigen Prozedur erlöst werden könnte.
Nach verschiedenen Schwierigkeiten gelang es Herrn André Michelin im Jahr 1891 den ersten abnehmbaren Pneumatik für Fahrräder zu entwickeln.
Die Gelegenheit bot sich beim großen Radrennen Paris-Brest und zurück; jener glückliche Fahrer, der sein Rad mit den ersten abnehmbaren Michelin-Pneumatiks versehen hatte, erreichte mit Leichtigkeit als Erster das Ziel – lange vor den anderen, die noch mit den Althergebrachten ausgestattet waren. Das war also der erste Sieg des abnehmbaren Pneumatiks und der erste große Erfolg Michelins.
Durch dieses ausgezeichnete Resultat beflügelt, setzte Michelin seine Studien fort, um bei den Pferdewagen ebenfalls die neue Bereifung durchzuführen. So ließ sich am 20. Februar 1894 der erste Fiaker mit bereiften Pneus in Paris sehen.
Die neue Verwendung des Pneus war für Michelin noch lange nicht zufriedenstellend, denn nicht nur das Fahrrad oder Fiaker waren von der Anwendung des Pneumatiks abhängig, sondern das Automobil.
Die ersten Versuche eines Automobils auf der Landstraße ließ erkennen, dass die Bereifung ob aus Metall oder Vollgummi dem Wagen sehr zusetzte und der zarte Mechanismus jede Erschütterung arg in Mitleidenschaft zog.
Die Versuche wurden fortgesetzt und endlich im Jahr 1895 hatte es Michelin geschafft, dass der erste abnehmbare Pneumatik für Automobile in seiner Fabrik erzeugt werden konnte.
Ein Rennen zwischen Paris – Bordeaux war geplant. Kein einziger Autofabrikant wollte seine Chancen auf Pneumatiks riskieren und weigerten sich sogar, Michelin einen Wagen zu verkaufen, mit dem er selbst an dem Rennen teilzunehmen gedachte, da er sich viel davon versprach und er sich in einem derartigen Rennen zu behaupten suchte. Es blieb ihm nichts anderes übrig als selbst ein Auto zu bauen das den Namen „Eclair“ erhielt.
Die Überraschung war groß, dass der Besitzer mit seinem Eclair als Sieger allen anderen davon rauschte. Man konnte es einfach nicht fassen, dass ein Luft gefüllter Reifen ein massiv schweres Auto zu einer großen Geschwindigkeit verhalf und aushielt.
Es war ein epochaler Triumph des Pneus. Es war der Beweis seiner Kraft und außerordentlichen Geschmeidigkeit. In allen Rennen der nächsten Zeit benützten die Fabrikanten die neue, von Michelin geschaffene Bereifung.
Nur dem Pneu allein waren die glänzenden Leistungen zu verdanken, die auf dem Gebiet der Konstruktion von Automobilen seit dieser Zeit zu verzeichnen waren. Gerade die große Elastizität der eingeschlossenen Luft Schichte vermochte siegreich das zerstörende Stoßen der holprigen Landstraße abzuschwächen und dadurch leichtere Automobile zu ermöglichen.
In dem ersten Rennen Paris-Bordeaux 1895 betrug das Gewicht pro Pferdekraft 150 Kilogramm Vollgummi, 1896 verminderte sich dieses Gewicht bei Pneumatikbereifung bereits von 166 Kilogramm. Im Jahr 1900 , im Rennen Paris-Toulouse, verfügte man bereits über einen Wagen, bei denen auf eine Pferdekraft 14 Kilogramm kamen. In den letzten Jahren, wo Rennwagen von 150 und sogar 200 Pferdekräften gebaut wurden, so gelangte man zu einem Wagengewicht von 6 und 5 Kilogramm pro Pferdekraft.
Der Name Michelin bürgte für den gewaltigen Aufschwung der Autoindustrie und der enormen Entwicklung desselben.
Seit der Erfindung des Pneumatiks war Michelin unablässig dahinter, seine Fabrikation ständig weiter zu verbessern.
Michelin war die Spitze des Fortschrittes und brachte 1905 den ersten richtigen Gleitschutzmantel in den Handel.
Im Jahr 1906 anlässlich des Grand Prix A.C.F., führte er die erste abnehmbare Felge ein die die Behebung der Pneusdefekte um ein Minimum reduzierte. Ab dem Jahr 1908 dann den Zwillingpneumatik Michelin. Nach und nach kamen sinnreich erdachte Zubehörteile, wie das Bolzenventil, Montierhebel. Luftflasche und vieles andere welche die letzten Schwierigkeiten des Pneumatiks behoben.
Michelins Bemühungen wurden durch glänzende Erfolge gekrönt. Das Renommee des Hause Michelin verbreitete sich auf der gesamten Welt und ihre Erzeugnisse werden international in der Autoindustrie sehr geschätzt.
Außer dem Stammhaus wurden weitere große Fabriken errichtet.
QUELLE: Moderne Illustrierte Zeitung 1913 H 14, S 17 sowie die Bilder daraus, ANNO Österreichische Nationalbibliothek
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