SONNENUHRHAUS#
Wenn ein Wiener aus früheren Zeiten im Jahr 1903 seine Vaterstadt sehen würde, er würde sie nicht wieder erkennen. Schon nach Neu Lerchen Feld war damals eine Landpartie. Jetzt ist man in Pötzleinsdorf noch immer in Wien. So hat sich alles verändert.
Aber auch in Schönbrunn, diesem herrlichen, durch kaiserliche Huld den Wienern eröffneten Park gibt es ebenfalls viel Neues. Wohl hat sich die vornehme Schloss Front nicht verändert, wohl bietet das große Gartenparterre den gewohnten Anblick und die Gloriette grüßt nach wie vor von ihrer stolzen Höhe. Aber die Menagerie hat ein vollständig anderes Aussehen bekommen. Dicke Mauern sind gefallen, Luft und Licht ist in die Räume gebracht worden, neue Anlagen wurden geschaffen, modern und der Zeit entsprechend.
Aber auch außerhalb der Menagerie gibt es Neues zu besuchen, das Palmenhaus, ein Meisterwerk der Eisen Konstruktion, präsentiert sich in seiner eleganten Glasformation und sein herrlicher Inhalt entzückt all die neugierigen Besucher. Oft diente der Glaspalast auch für Festlichkeiten des Hofes.
Nun wird das Palmenhaus einen Rivalen erhalten, denn das alte Gewächshaus wird einem neuen ansehnlichen Bau weichen der dann kostbare Pflanzen aus Kap der Guten Hoffnung und Australien beherbergen wird, darum auch der neue Name Kap Haus, den es führen wird.
Das alte Gewächshaus das seit 1806 besteht, das wegen der davor befindlichen vergoldeten Sonnenuhr als Sonnenuhrhaus bekannt. ist Die bis dahin untergebrachten Pflanzen werden in Zukunft ein neues Revier zugewiesen bekommen. Wie groß der Verbrauch von Blumen und Pflanzen ist, mag der Umstand erweisen, dass in dem großen Parterre allein mehr als eine halbe Million Pflanzen zur Verwendung gelangt sind. Außerdem sind noch zur Dekoration der vom Hof benützten Räume Pflanzen beizustellen, zu deren Bestreitung allerdings auch die übrigen Hofgärten beitragen. In Schönbrunn allein arbeiten 40 geschulte Gärtner und mehr als hundert Hilfsarbeiter und alle haben vollauf zu tun, um die kolossale Arbeit zu bewältigen. Einige der Arbeiter versehen auch abwechselnd den Nachtdienst, um im Sommer die im Freien befindlichen Pflanzen vor plötzlichen Unwetter zu schützen, im Winter aber die Temperatur der Glashaus zu kontrollieren.
Das sogenannte Kap Haus ein wirksames Gegenstück des Schönbrunner Palmenhaus wird mäßig temperiert die kostbaren Pflanzen vom Kap der guten Hoffnung und aus Australien aufnehmen. Architekt von Orban hat die Pläne für das neue elegante Haus entworfen, das allen modernen Ansprüchen gemäß angeordnet und eingerichtet sein wird. Zugleich wird im Botanischen Garten eine neue Zentralheizungsanlage errichtet, die sowohl für das Palmenhaus wie für das neue Kap Haus zuständig sein wird. Gegen den Palmen Palast wird das neue Haus mit einem Eck Pavillon einen gefälligen Abschluss bilden und soll bis zum Herbst dieses Jahres fertig sein.
Schönbrunn besitzt an Erika vom Kap und Pflanzen aus der im Aussterben begriffenen Familie der Proteaceen, was Reichtum der Formen und Schönheit der Exemplare anbelangt, Schätze die kaum übertroffen werden. Was den Schönbrunner Kollektionen von Kap Pflanzen und Australien noch einen höheren Wert verleiht, ist der Umstand, dass manche der Kostbarkeiten mit ihrer Geschichte bis zu Beginn des vorigen Jahrhunderts , in die Zeiten des Blumenliebhabers Kaiser Franz und der für Botanik passionierten Erzherzog Rainer, Anton und Johann zurück zu datierten über direkt von jenen Sendungen abzuleiten sind, die der Gärtner Scholl im Auftrag des Wiener Hofes bei zahlreichen Aufenthalte in Südafrika zusammenbrachte. Ein guter Teil der sogenannten kalten Erika vom Kap, die durch überaus zierliche, wie aus Porzellan Email geformte Blüten ausgezeichnet sind, ferner der holländische Schmetterlingsblütler stammt von den Raritäten, die aus den berühmten Gärten des Freiherrn von Hügel nach Schönbrunn gelangten. Gerade unter den zur Übersiedlung ins neue Kap Haus bestimmten Pflanzen Schönbrunns befinden sich die größten botanischen Seltenheiten der kaiserlichen Sammlungen.
Während die müden Blätter in den stillen Alleen zu Boden sinken, beginnt im Schönbrunner Garten das große Rüsten und Räumen für den Winter. Eben wurden die mächtigen Kübel der Orangenbäume, die noch grünende Zeugen der Josephinischen Zeit sind, von kräftigen Händen angefasst und die Orangerie beim Meidlinger Tor empfängt wieder für die kalte Zeit des Jahres ihren Pflanzenschmuck Nicht weit von der Orangerie ist in letzter Zeit eine neue Treibbeet Anlage eingerichtet worden, ein modernes Muster Etablissement, das mit seiner sauberen und eleganten Heizrohr Installierung der Aufgabe gewachsen sein wird, die vielen Tausende von Pflanzen vorzubereiten, die für das ausgedehnte Parterre vor dem Schloss bestimmt sind. Wie die Orangerie wird das neue Sonnenuhrhaus von heute an eingeräumt. Es ist für die Palmen vom Blumen Parterre zwischen Schloss und Neptun Teich bestimmt und bietet 8 bis 10.000 Pflanzen, darunter viele respektablen Bäumen, Raum, Licht, Luft und Wärme. Der schöne Palmen Palast gegenüber, in dem bald die Spezialausstellung der blühenden Chrysanthemen, Orchideen, Euphorbien usw. beginnen soll, bietet permanent den Eindruck der erquickenden Anmut und der mustergültigen Ordnung. Die wärmste Abteilung des Palmen Palastes bringt Paradies Feigen, Zuckerrohr, Kaffee Sträucher und Kakao Bäume, Pfeffer- und Zimtsträucher, Papyrus und Brotfrucht Bäume. Dazu dann noch das kleinblättrige Gewächs, dem wir das wichtige Arzneimittel „Cocain“ danken, und nicht weit davon jener Baum von dem die Japaner ihr furchtbares Pfeil Gift holen … Auch das herrlichste aller Vegetation Bilder kann der Naturfreund jetzt in Schönbrunn genießen die Victoria regia blüht in ihrer stolzen Schönheit und Pracht. Auf dem Warmbassin ruhen die gewaltigen kreisrunden Blätter mit dem auf gekrämpten Rand, die stark genug sind, einen zehnjährigen Knaben über Wasser zu halten. Dazwischen offenbart sich das unvergleichliche Blütenwunder der geöffneten Victoria Blume, die am ersten Tag ihres Erscheinens rot, am zweiten weiß gefärbt ist und einen märchenhaft exotischen Duft verbreitet.“
Im August 1906 fand im Sonnenuhrhaus die erste Orchideen Lizitation auf dem Kontinent in Schönbrunn statt.
Eine der herrlichsten Blumen, deren Zucht man schon seit Jahren höchste Sorgfalt zuwendet, ist unstreitig die Orchidee, die in allen möglichen Variationen fast über die ganze Erde verbreitet ist und von der man mehr als 5000 Arten kennt. Um die exotischen Orchideen bei uns zur Bildung von Früchten zu veranlassen, muss man sie künstlich befruchten weil die zu ihrer Befruchtung dienenden Insekten ihrer Heimat bei uns fehlen.
In Österreich hat die Schönbrunner Hofgartenverwaltung die größte Sammlung farbenprächtiger Orchideen. Nahezu 30.000 Stück verteilen sich in sechs Orchideen Häuser. Kleine Orchideen Sammlungen besitzen auch Graf Harrach, Baron Rothschild, Herr Donath in Prag. In Wien gibt eine große Anzahl von Amateuren die erfolgreich Orchideen züchten.
Am 1. Oktober sollte für alle Liebhaber das sensationelle Ereignis statt finden. Zur ersten Lizitation auf dem Kontinent gelangten 1710 Stück bereits im September zur Besichtigung in das Sonnenuhrhaus. Die Versteigerung wurde vom Dorotheum vorgenommen. Unter den Orchideen der Versteigerung befanden sich 900 Stück Schönbrunner Neuzüchtungen, die durch Kreuzungen entstanden und wunderschöne Ergebnisse damit erzielt werden konnten. In den kommenden Jahren fanden weitere Auktionen statt. Bei dieser Auktion kostete eine Orchidee 10 Kronen, die Hälfte des wahren Wertes.
Die Arbeiterzeitung berichtet im September 1929 über den Kakteenzauber .in Schönbrunn, denn die Kakteen Liebhaber wurde immer größer und die Österreichischen Gartenbaugesellschaft veranstaltete in den Gewächshäusern des Schwarzenberg Gartens eine sehr eindrucksvolle Kakteen Schau. Anschließend folgte der Schönbrunner Bundesgarten und hatte im Sonnenuhrhaus eine stimmungsvolle Wüstenlandschaft gezaubert um seine Schätze an Kakteen und ähnliche Pflanzen in einem ihre heimatlichen Umwelt nachahmenden Rahmen zu präsentieren.
Dass Schönbrunn das Sonnenuhrhaus jetzt in eine Schatzkammer seiner Kakteen- und Sukkulenten Schätze umgewandelt hat, ist klar. Die Kakteen Liebhaberei in Schönbrunn ist ja Jahrhunderte alt . Schönbrunn kann schon was zeigen, wenn es heißt, mit Kakteen Wundern herauszurücken. Wo denn sollte man ein so altes Kakteen Ungeheuer sehen wie den Cereus peruvianus monstruosus, wenn nicht in Schönbrunn?
Schönbrunn hält auch Schritt mit der Kakteen Kultur der Gegenwart. Unter den hochgewachsenen alten findet man neu eingeführte Kakteenarten.
Unter all den Schätzen gibt es noch ganz besondere Einzigartige : die Fockea capensis und die Welwitschia mirabilis .Die Fockea ist die in Schönbrunn seit hundertdreißig Jahren betreute einzige Exemplar ihrer in der südafrikanischen Urheimat wahrscheinlich ausgestorbenen Art. Schon die Erhaltung durch hundertdreißig Jahren ist eine gärtnerische Tat ersten Ranges. So wie die Stephanskirche das architektonische, so ist die Fockea capensis das botanische Wahrzeichen von Wien.
Quelle: Arbeiter Zeitung 4. Septembr 1928 S 8,Neuigkeitsweltblatt 29. August 1906 S 4 und 5,Neues Österreich 20. August 1948, ANNO Österreichische Nationalbibliothek, Bildmaterial Graupp I.Ch.
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