STIGMATISATION
1931: Die angeblichen Wunder; wie: Stigmatisation, Extasen, Cardiognosie usw. haben im Laufe der christlichen Geschichte nie aufgehört. Bei jeder Seligsprechung verlangt die Kirche deren zwei, die auf Fürbitte des Seligen geschehen sind und diese müssen mit größter Sorgfalt bewiesen werden.
Zu den vielen außerordentlichen Erscheinungen aber, die zu Lebzeiten mancher Gott verbundenen Personen auftreten, verhält sich die Kirche sehr vorsichtig. Und mit Recht! Im Einzelfall ist es ja nicht leicht zu entscheiden, ob tatsächlich ein Wunder im theologischen Sinn vorliegt, oder eins in der volkstümlichen Bedeutung des Wortes.
Auch im letzten Fall kann freilich eine Erbauung der Frommen von solchen Tatsachen ausgehen. Das rechtfertigt aber noch lange nicht die Behauptung, derartige außergewöhnliche Phänomene seien unbedingt zurück zuführen auf ein unmittelbares Eingreifen der göttlichen Allmacht in die Gesetze der Natur. Bevor solches bewiesen ist. d. h. bevor die Wissenschaft klar und deutlich dargelegt hat, dass diese „Wunder“ tatsächlich nicht von der Natur hervor gebracht werden können.
Jede voreilige apologetische Argumentation mit solchen Dingen ist nicht nur leichtfertig, sie tut auch der Glaubwürdigkeit derjenigen, die sie anwenden, schweren Abbruch.
Und deshalb wundert man sich über die Flut von Schriften, die mit einer, keinen Widerspruch duldenden Selbstverständlichkeit die Vorgänge in Konnersreuth als unbedingt übernatürlich darzustellen.
Die klugen Regeln, die Benedikt XIV., in seinem, in vielem heute noch brauchbaren Werk „de beatificatione et canonisatione“ aufgestellt hat, sollten auch heute nicht außer acht gelassen werden. Ja, je mehr die Wissenschaft die okkulten Regionen der Natur erforscht, um so mehr Vorsicht wäre angebracht.
Es wird wohl keinem Gläubigen einfallen, a priori die Möglichkeit des eigentlichen Wunders im Fall Konnersreuth zu leugnen. Bei dem jetzigen Stand der Dinge aber muss man bedauern, dass sonst ernst zu nehmende Menschen sich derart haben beeinflussen lassen durch die Gemüts erfassende Seite der Erscheinungen und die Therese Neumann ausnützen als Christusorakel.
Das ist vielfach geschehen, und man kann dem Ortspfarrer den Vorwurf nicht ersparen, dass er derartige Fragen zulassen, resp. übermittelt hat.
Denn bis jetzt sind die Vorgänge in Therese Neumann noch keineswegs wissenschaftlich genügend erforscht und es liegt gewiss nicht in der Absicht der Kirche, dass Seherinnen, wen sie auch einen heiligmäßigen Lebenswandel führen, als Orakel benützt werden.
Es hat sich um Therese Neumann im Laufe der Jahre ein Kreis von Bewunderern gebildet, deren Wortführer der Protestant Gelich geworden ist. Und Gerlich führt das Wort in einer Art, die erstaunlicher weise für sich oder doch für Therese Neumann die Unfehlbarkeit in Anspruch zu nehmen scheint. Erstaunlicher weise, denn als Protestant erkennt er doch nicht einmal die Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes an.
Vor allem ist die Art der Polemik, die von diesem Kreis ausgeht, und die in der schärfsten, ja liebloser Weise alle angreift, die nicht unbedingt der Übernatürlichkeit der Konnersreuther Phänomene zustimmen, oder doch sich reserviert verhalten, sehr bedauernswert. Beweis dafür die Publikation Gerlichs: „Der Kampf um die Glaubwürdigkeit der Therese Neumann. Eine Auseinandersetzung mit den Professoren Wunderle und Mager“.
Beweis dafür auch das äußerst heftige, leidenschaftliche Auftreten Gerlichs auf der religionspsychologischen Tagung in Erfurt, 1930. Die durchaus sympathische und ernste Antwort Wunderles und Magers in Heft 26 der Abhandlungen zur Philosophie und Psychologie der Religion sagt mit Recht vom Vorgehen des Konnersreuther Kreises: „Wenn man bedenkt: Gerlich will der großen Konnersreuther Wirklichkeit dienen, er will also dem durch Therese Neumann nach seiner Ansicht unmittelbar sprechenden Heiland die Bahn bereiten, so ist diese Absage an die Liebe geradezu erschütternd“
Es steht jedem Menschen frei , sich über den Fall Konnersreuth ein Urteil zu bilden, aber es steht niemandem frei, von allen eine Glaubenszustimmung zu seiner Ansicht zu fordern, bevor diese Ansicht überzeugend bewiesen ist.
Und das ist sie noch lange nicht; im Gegenteil, durch die letzten Polemiken zeigt es sich, dass diese Versuche des Nachweises, den Gerlich bestätigt, auf außerordentlich schwachen Füßen stehen.
Jahrzehntelang wurde über den Fall „Therese Neumann“ diskutiert, immer wieder wurde sie von neugierigen oder gläubigen Besuchern belagert, Wunder erwartend. Sie die in Visionen die Leiden Christus erlebte, keine Nahrung zu sich nahm, die Wundmale an ihren Händen, trotz allem die Kirche hielt sich mit ihrem Urteil zurück. Auch die Medien wussten ständig von ihr zu berichten bis zu ihrem Tod, dann kehrte langsam Ruhe ein, heute kennt sie nur „ihr Informations- und Gebetskreis“ sonst kaum noch jemand, fast vergessen.
Gerlich, ein Gegner Hitlers, war einer der ersten der in Dachau den Tod fand.
QUELLE; Salzburger Kirchen Blatt, 20. August 1931, S 1, ANNO Österreichische Nationalbibliothek.
https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Historisches_von_Graupp