TODESSPRUNG VOM STEPHANSTURM#

Stephansdom
Katharinenkapelle

Es war Mittwoch der 30. Mai 1934 gegen drei Uhr am Nachmittag als eine elegant gekleidete Dame dem Stephansdom zusteuerte und sich beim Türmer eine Eintrittskarte löste und die schmale Turmstiege hinauf schritt. Unmittelbar neben der Starhemberg Bank hielt sie inne und Besucher des Turmes, die nach ihr hinaufstiegen hatten die Frau, die anscheinend die Fernsicht über die Stadt bewunderte, verweilen gesehen.

Plötzlich hörte der diensthabende Feuerwehrmann einen dumpfen Aufschlag und glaubte, dass ein Stück Mauer in die Tiefe gefallen sei.

In diesem Moment hörte auch die Frau des Mesners von St. Stephan, gerade oberhalb der Wohnung einen fürchterlichen Knall und stürzte daraufhin aus der Wohnung.

Vom Platz aus konnte man allerdings auf dem Dach der 18 Meter hohen Katharinenkapelle nichts wahrnehmen. Der Türmer aber suchte mit seinem Fernrohr das Gebäude ab und entdeckte, hinter Zierrat verkeilt, den Körper eines Menschen, der anscheinend das Dach, der Katharinenkapelle durchschlagen hatte.

Über den Feuermelder alarmierte der Türmer sofort die Zentrale Am Hof. Mannschaftswagen mit hohen Magierungs Leitern rückten aus.

Das Vorfahren der Feuerwehren auf dem Stephansplatz hatte eine riesige Menschenmenge angelockt, so dass die Polizei den Platz absperren musste.

Der Arzt der Rettungsgesellschaft erkannte von einem Turmfenster aus, dass die Lebensmüde, wohl schwer verletzt, aber nicht tot wäre. Daraufhin wurde die Rettungsaktion der Feuerwehr beschleunigt. Die Leitern spannten sich über den Zierrat der Kapelle. Mit kurzen Hakenleitern auf Seilen, in waghalsiger Kletterei, ließen sich die Feuerwehrmänner aus der Höhe des Turmes und von der Magierungs Leiter hinab, um zu der schwer zugänglichen Stelle zu gelangen.

Die Feuerwehrmänner trafen die Frau tatsächlich noch lebend an,. Man seilte, wieder mit Hilfe der Feuerwehrleitern, eine geschlossene Tragbahre, einen sogenannten Mannsack, zu der Stelle, wo die Lebensmüde lag, bereitete sie in der Tragbahre und transportierte sie ins Spital.

Auf dem Stephansplatz hatten sich inzwischen zahlreiche Menschen angesammelt und zeigten sich erschüttert über das Vorgefallene. Es war bereits der dritte Fall eines Selbstmordes vom Stephansturm.

Die Kunst der Ärzte war aber vergeblich. Eine Stunde nach ihrer Einlieferung verstarb die Selbstmörderin.

Bei der Starhemberg Bank, die schon wiederholt von Selbstmördern zur Ausführung ihrer Verzweiflungstat verwendet, und die, um Selbstmorde zu verhindern erst in letzter Zeit mit Gitterstäben abgesperrt worden war lag eine Damentasche. In dem Täschchen wurde kein Namen gefunden, sondern nur ein Notizbuch mit Adresse, eine Pullmankappe und zwei Fahrscheine die auf der Linie 40 markiert worden waren. Um die Lebensmüde zu identifizieren wurden die Taschen ihrer Kleider durchsucht. Dabei entdeckte man im Mantel eine Visitenkarte, die auf den Namen Margarete Köchert lautete. Im Zentralmeldeamt konnte man die Selbstmörderin als die 37 jährige Private Margarete Köchert identifizieren, die in den letzten Wochen in Döbling in einer Pension in der Hasenauerstraße gewohnt hatte.

Die Frau war die geschiedene Gattin des Generalvertreters der Aluminium Limited Canada, Ing. Gerhart Köchert eines Mitgliedes der bekannten Juweliers Familie.

Das Ehepaar hatte gemeinsam mit seinen beiden Kindern in der Billrothstraße 68 eine kleine Altwiener Biedermeier Villa bewohnt. Zwischen den Eheleuten war es zu Zwistigkeiten gekommen, die Ehe wurde geschieden, und vor sechs Wochen verließ Frau Köchert die gemeinsame Wohnung. Die beiden Kinder blieben bei dem Gatten zurück.

Frau Köchert war eine geborene Keim, Tochter des Fabrikanten Keim in Hirtenberg, Wäscheerzeugung. Sie hat ihren Mann, der bei der Firma Kromag in Hirtenberg angestellt war, in Hirtenberg kennen gelernt.

Das Eheunglück der Frau scheint in ihr in den letzten Tagen den Entschluss zum Selbstmord wachgerufen zu haben.

Frau Köchert war die erste Frau , die so ihrem Leben ein Ende bereitet hatte.

Die Leiche wurde nach Hirtenberg überführt und in der Familiengruft, am Ortsfriedhof zur letzten Ruhe bestattet.

Quelle: Kleine Volkszeitung, 21. Mai 1934, ANNO Österreichische Nationalbibliothek Bild I.Ch. Graupp

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