UNGLÜCK#
1906: Furchtbare Unglücksfälle jagten einander in den letzten Wochen. Dem schauerlichen Grubenunglück von Courrieres, dessen Nachwirkungen sich in einem großen, revolutionären Streik noch jetzt geltend machen und auch die staatliche Ordnung in Frankreich bedrohen, folgte der Entsetzen verbreitende Vulkanausbruch des Vesuv bei Neapel, der Italiens Bevölkerung in neue Schrecken versetzte, und kurz darauf kam aus dem fernsten Westen Amerikas die grauenvolle Kunde von einem furchtbaren Erdbeben, das im Bunde mit dem Feuer zwei Drittel der Stadt San Francisco zerstörte und auch mehrere Nachbarorte verwüstete und noch ungezählte Opfer an Menschenleben forderte.
Das Unglück ist keine neue Erscheinung auf Erden, vielmehr ist das Unglück fast so alt wie das Menschengeschlecht. Es bricht ebenso über den Palast des Reichen, über die stolze Burg des Fürsten, wie über die Hütte des Bettlers herein. Kein Tag ohne Unglück, kein Haus, keine Familie ohne einen Unfall, kein Mensch ohne ein Leid.
Unsere Zeit, in der falsche Propheten der Welt das Glück auf Erden verheißen und ihr den Glauben an ein ewiges Glück im Jenseits ausreden wollen, ist Unglücks reicher als je eine andere, so dass fast nur mehr Unglücks-Katastrophen Eindruck auf unsere an Unglücksmeldungen gewöhnten Nerven machen.
Aber warum, woher das Unglück in der Welt? Unglück und Leiden gehöre in der gegenwärtigen Ordnung der Welt zum natürlichen Lauf der Dinge. Sie sind aber nicht vom Schöpfer in die Welt gelegt, sondern sind eine Folge der Sünde, die der Menschheit jenen paradiesischen Zustand der Unsterblichkeit geraubt und den Tod und alles Unheil in die Welt gebracht hat. Die Erbsünde ist der Urquell alles Unglücks.. Da nun alle Menschen diese Sünde und ihre Folgen an sich tragen, so ist es ebenso töricht, gegen ein spezielles Unglück zu murren und darob mit Gott zu hadern, als wenn jemand gegen Gott sich auflehnen wollte, weil er die Menschen sterben lässt. Denn nicht Gott hat den Tod gewollt, sondern die Menschen selber, die sein Gebot übertraten.
So lässt Gott auch das Unglück nur zu, indem er nicht fortwährend durch Wunder den Lauf der Dinge hindert. Wollte Gott das drohende Unglück auf Erden jedes mal durch ein Wunder aufheben, so würde das Gottes unendliche Weisheit und Majestät der Lächerlichkeit ebenso preisgeben, wie ein Vater von seinen bösen Buben ausgelacht wird, der immer nur eine Strafe androht, sie aber nie ausführt. Da das Unglück eine Folge und Strafe der Erbsünde ist, die alle Menschen auf sich geladen , so trifft das Unglück auch die Menschheit insgesamt, die Guten wie die Bösen, die Hohen wie die Niederen, die Reichen wie die Armen, wie auch die Sonne über Gute und Böse scheint. Dass es einzelne Menschen mehr, andere weniger heimsucht, ist zum Teil wieder nur eine natürliche Folge des seit dem Sündenfall mit Gottes Fluch beladenen herzlosen Ganges der großen Weltmaschine, die wie ein Eisenbahnzug unbarmherzig jeden zermalmt, der in ihr Räderwerk gerät.
Das Unglück ist also nicht von Gott, aber es soll die Menschheit zu Gott führen. Jeder Unglücksfall ist eine wenn auch schmerzliche, so doch heilsame Erinnerung, dass es auf Erden kein volles und dauerndes Glück gibt, und dass der nach Glück sich sehnende Mensch für ein höheres ewiges Glück bestimmt ist. Gäbe es kein Unglück, so würden die Menschen nur allzu bald Gott vergessen werden.
Sehen wir es nicht, dass auch die Gottlosen zahmer und stiller werden, wenn ein Unglück über sie oder ein Land hereinbricht? Lehren doch gerade solche Katastrophen, wie Vulkanausbrüche und Erdbeben, dass es noch Naturkräfte gibt, über die der Mensch niemals wird Herr werden, die das Erdenglück der Menschen immer wieder stören werden und die Menschheit aus den sozialistischen Träumen von einem Paradies auf Erden wuchtig rütteln.
Lassen wir auch bei uns ein schreckliches Unglück, das Gott verhüten wolle, hereinbrechen, und wir werden es wie jetzt in Italien beim Vesuvausbruch und Erdbeben erleben, dass die Kirchen sich wieder mehr füllen, dass Bittprozessionen veranstaltet werden und eine massenhafte Teilnahme aufweisen. Das Unglück ist eben in Zeiten, wo die Menschen sich Gott und der Religion immer mehr entfremden, zugleich eine ernste Mahnung Gottes, dass es noch ein weit schrecklicheres Unglück gibt, mit dem alle Unglücksfälle auf Erden gar nicht zu vergleichen sind, und dieses ist der Unglückssturz ins ewige Feuer der Hölle. Um uns von diesem Unglück, das allein ein wahres Unglück ist, zu erretten, kam der Gottessohn auf die Erde um uns zu erlösen und eine Versicherungs- und Rettungsgesellschaft vor ewigem Unglück, die katholische Kirche zu gründen. Wohl denen, die durch zeitliches Unglück sich vor dem Sturz ins ewige Unglück warnen lassen!
Wo aber die bloße Warnung Gottes vergeblich ist, dort ist das Unglück oft eine gerechte Strafe für persönliche Sünden oder für die Sünden der Vorfahren, Denn der langmütige Gott straft auf Erden die Sünden der Eltern oft erst an den Kindern und Kindeskindern. So war das Unglück, das einst über Sodoma und Gomorrha in so furchtbarer Art hereinbrach, eine gerechte Züchtigung Gottes für die Sünden dieser Städte. Sind aber nicht so manche moderne Städte auch ein Sodoma und Gomorrha der Unzucht und Gottvergessenheit? Und hat nicht Christus das Unheil, das über die Gottes mörderische Stadt Jerusalem erst 40 Jahre nach dem großen Gottesfrevel hereinbrach, als eine zeitliche Strafe für die Unbußfertigkeit des Judenvolkes angekündigt? So wird es uns auch erst am großen Gerichtstag, an dem die Geheimnisse Gottes aufgehellt werden, klar werden, warum dieses und jenes Unglück über uns oder andere, über einen Ort, eine Stadt oder ein Land gekommen ist. Das Unglück ist selbst im Fall der Strafe zugleich ein Ruf zur Buße. „Wenn ihr nicht Buße tut“, sagt Christus, „so werdet ihr alle zugrunde gehen,“ Die große Pest, die zu Davids Zeiten über die Juden kam, war zugleich eine Strafe und Buße für König David.
Aber oft hört man kleingläubige Leute sagen. „Was hab denn ich verbrochen, dass ich so von Gott mit Unglück heimgesucht werde? Und mancher wirft gar den Gauben an Gott und Gottes Vorsehung von sich, weil sein kleiner Geist es nicht zu fassen vermag, dass Gott gerade ihn, wie er meint. Von einem Unglück ins andere stürzen lässt, da er sich doch für besser hält als andere, denen es gut geht. Denen fehlt es an Demut zu erkennen, dass auch sie viele Sünden begangen haben, die eine Strafe verdienen „Denn wer da sagt, er sei ohne Sünde, der ist ein Lügner und die Wahrheit ist nicht in ihm.“
Aber gesetzt, jemand wäre ohne Sünde, dann wäre das Unglück, das ihn trifft, für ihn eine Prüfung. Wer war gerechter als Job und doch ereilte ihn ein Unglück über das andere, damit seine Geduld erprobt würde. „Der Herr, euer Gott, prüft euch“.heißt es im Buch Moses, „damit offenbar werde, ob ihr ihn liebt oder nicht“, Bei den Gottlosen ist eine solche Prüfung durch Unglück und Leiden oft bereits zwecklos, weil sie in der Sünde schon verhärtet sind. Darum erspart ihnen Gott manche harte Prüfung und lohnt sie auf Erden für das wenige natürliche Gute, das sie, weil kein Mensch von Natur aus ganz schlecht ist, an sich haben. Aber es ist so wie bei einem faulen Schüler, den der Lehrer nicht mehr mit öfteren Fragen belästigt, weil er sie doch nicht beantworten kann und schon zum Durchfallen bestimmt ist.
Im Lichte des Christentums gibt es ja überhaupt nur ein wirkliches und wahres Unglück und das ist die Todsünde und ihre Folge, die Hölle; alles andere Unglück kann für den Menschen sogar ein Glück sein und Gott lenkt alles Unglück und Leid zum Besten der Guten und zum Heile der Sünder, wenn sie Gottes Hand nur auch im Unglück erkennen und durch zeitliches Unglück sie zu ewigen Glück führen lassen.
QUELLE: Gottscher Bote, 4. Mai 1906, S 9, ANNO Österreichische Nationalbibliothek.
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