Literatur- und kulturgeschichtliches Handbuch der Steiermark im 19. Jahrhundert online
Lexikon Hanns Gross

Hanns Gross

© Universität Graz, Universitätsarchiv

Impressum

Geb. 26. Dezember 1847 in Graz (Steiermark), gest. 9. Dezember 1915 in Graz.
Richter; Rechtswissenschaftler, Kriminologe, Begründer der Grazer kriminologischen Schule.

Der Sohn von Oberkriegskommissär Gustav Gross (1806–1876) und Franziska geb. von Leutzendorff (1827–1902) kam Am kleinen Glacis 6 in Graz zur Welt.

Gross studierte Rechtswissenschaften in seiner Heimatstadt, wo er 1870 promovierte. Er trat in den Justizdienst und war zunächst als Untersuchungsrichter in Leoben und Graz, später als Senatsvorsitzender am Appellationsgericht in Graz tätig.

1898 wurde er auf Grund seiner wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der Kriminalistik, jedoch ohne Habilitation, Ordinarius für Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Czernowitz (Ukraine).

1902 erfolgte die Berufung an die Deutsche Universität Prag, 1905 an die Universität Graz. Eine Berufung auf einen neu zu errichtenden Lehrstuhl in Berlin scheiterte daran, dass die erforderlichen finanziellen Mittel nicht bewilligt wurden.

1912 gelang ihm, vielen Widerständen zum Trotz, die Gründung des an die Juridische Fakultät angegliederten k.k. Kriminalistischen (später: Kriminologischen) Instituts, des ersten seiner Art in Europa, das zum Vorbild für zahlreiche ähnliche Institute in aller Welt werden sollte. Dem Institut schloss Gross die von ihm während seiner richterlichen Tätigkeit zusammengetragene Landesgerichtliche Kriminalsammlung als Institutsmuseum an.

Gross gilt als Begründer der modernen Kriminologie als einer gegenüber der Strafrechtslehre selbständigen Disziplin und leistete Pionierarbeit auf diesem Gebiet. Seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen entstanden jahrelang neben seinen sonstigen beruflichen Verpflichtungen, erst die Berufung nach Graz und die Gründung seines Kriminalistischen Instituts ermöglichten es ihm, sich ganz auf die wissenschaftliche Tätigkeit zu konzentrieren. Im Zentrum von Gross' neu begründeter Wissenschaft stehen die Bildung von Sachindizienketten, basierend auf der naturwissenschaftlichen Analyse des Tathergangs, und die Überprüfung der Tatmotivation, ausgehend von einer psychologischen Analyse der Tatumstände. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern am Institut in Graz entwickelte Gross die so genannte "Grazer Schule der Kriminologie".

Durch seine Bemühungen um eine exakte Verbrechensaufklärung unter Einbeziehung naturwissenschaftlicher und psychologischer Erkenntnisse erlangte Gross Weltruhm. In den USA gilt er noch heute als einer der Begründer der "Criminal investigation". Sein kriminalistisches Hauptwerk, das "Handbuch für Untersuchungsrichter" (1893 erstmals erschienen, seither zahlreiche Auflagen, seit der Neubearbeitung durch Ernst Seelig (1895–1955) 1942 unter dem Titel "Handbuch der Kriminologie") wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Ab 1898 gab Gross das "Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalstatistik" (heute: "Archiv für Kriminologie") heraus, welches bald zur führenden Fachzeitschrift avancierte.

1876 heiratete Gross Adele Raymann (1854–1942). Das einzige Kind des Paares war der Psychopathologe und Publizist Otto Gross (1877–1920), dessen gespanntes Verhältnis zu seinem Vater für großes Aufsehen sorgte.

 

Werke (Auswahl):

Die Entscheidungen des k.k. österr. obersten Gerichts- und Cassationshofes über den § 199a des Strafgesetzes vom 27. Mai 1852 (1880); Handbuch für Untersuchungsrichter, Polizeibeamte, Gendarmen (1893); Lehrbuch für den Ausforschungsdienst der k.k. Gendarmerie (1894); Kriminal-Psychologie (1898); Der Raritätenbetrug (1901); Encyclopädie der Kriminalistik (1901); Gesammelte kriminalistische Aufsätze. 2 Bde. (1902–08); Die Erforschung des Sachverhaltes strafbarer Handlungen. Ein Leitfaden für Beamte des Polizei- und Sicherheitsdienstes (1902); Zur Frage der Zeugenaussage (1902); Kriminalpsychologie und Strafpolitik (1906); Kriminalistische Tätigkeit und Stellung des Arztes (1908); Notwehr und Notstand im österreichischen Strafgesetzentwurf (1911); Das k.k. kriminalistische Universitätsinstitut in Graz (1913/14); Das ordentliche Verfahren im österreichischen Strafprozess in Schlagworten (1914).

 

Abkürzungsverzeichnis

Literatur:

NDB Bd. 7, S. 139–141.
ÖBL Bd. 2, S. 74.
GdSG Bd. 4, S. 173f.
AEIOU.
DBE.
Lebenslinien: Otto Gross & Zeitgenossen (Datenbank): http://de3.netpure.de/cgi-bin/baseportal.pl?htx=/RDehmlow/Otto_Gross_Daten&localparams

 

Autorin des Artikels:

Birgit Scholz, April 2011

 
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