Literatur- und kulturgeschichtliches Handbuch der Steiermark im 19. Jahrhundert online
Lexikon Alexius Meinong

Alexius Meinong

© Universität Graz,
Universitätsarchiv

Impressum

Geb. 17. Juli 1853 in Lemberg/Galizien (Lwíw/Ukraine), gest. 27. November 1920 in Graz (Steiermark).
Philosoph; Universitätsprofessor.

Meinong, Sohn des 1853 geadelten k.k. Offiziers Anton Meinong von Handschuchsheim (1799–1870) und dessen Frau Wilhelmine geb. Sofalvi (1817–1909), verbrachte seine Jugend in Wien, wo er nach sechs Jahren Privatunterricht 1868–1870 das akademische Gymnasium besuchte. Sein Universitätsstudium – Geschichte und deutsche Philologie – begann er bereits im Alter von 17 Jahren. Zu seinen Universitätslehrern gehörten die Historiker Ottokar Lorenz (1832–1904), Theodor von Sickel (1826–1908) und Max Büdinger (1828–1902). Bei Karl Menger (1840–1921) hörte er Vorlesungen über Nationalökonomie. 1874 promovierte er mit einer Dissertation über den italienischen Kirchenreformer Arnold von Brescia (gest. 1155). Hatte er zunächst noch beabsichtigt, seine Studien an der juridischen Fakultät fortzusetzen, entschloss er sich im Wintersemester 1874/75 jedoch für die Philosophie. Franz Brentano (1838–1917) wurde sein Lehrer und empfahl ihm die Untersuchung der beiden Fassungen von David Humes (1711–1776) Hauptwerk. Mit dem ersten Teil seiner Hume-Studien, "Zur Geschichte und Kritik des modernen Nominalismus" (1877), habilitierte er sich 1878 und wurde Privatdozent an der Universität Wien. Nach dem Erscheinen des zweiten Teils seiner Hume-Studien, "Zur Relationstheorie", kam er als ao. Professor der Philosophie an die Universität Graz, wo er 1889 schließlich ordentlicher Professor wurde. Ab 1897 war er Vorstand des Philosophischen Seminars, an dessen Entstehung er maßgeblich beteiligt war. Im Studienjahr 1886/87 veranstaltete Meinong als Erster in Österreich experimentalpsychologische Untersuchungen. 1894 gelang die Gründung des "Psychologischen Laboratoriums", des Österreich-weit ersten experimentalpsychologischen Instituts. Meinong wurde 1914 wirkliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Wien. Einem Ruf an die Wiener Universität im selben Jahr leistete er nicht Folge, sondern entschied sich dafür, in Graz zu bleiben, wo er sich in einem ruhigeren Umfeld bessere Arbeitsbedingungen versprach.

In seinem früheren Werk setzte sich Meinong vor allem mit psychologischen Fragestellungen auseinander. Ab dem Wintersemester 1886/87 arbeitete er gemeinsam mit seinem Schüler Alois Höfler (1853–1922) an den ersten Konzepten für Lehrbücher der Logik und der Psychologie für Gymnasien. In seiner ersten selbständigen Veröffentlichung "Über philosophische Wissenschaft und ihre Propädeutik" (1885) legte er seine Ansichten über die Stellung der Philosophie zu den Naturwissenschaften sowie ihre Stellung im Unterricht dar. In seinen werttheoretischen Studien führte Meinong Problemstellungen der österreichischen Schule der Nationalökonomie weiter.

In seiner Gegenstandstheorie widmete er sich dem Nicht-Existierenden und dessen Rolle für die Erkenntnis. Während die Metaphysik nur auf Wirkliches gerichtet ist, soll die Gegenstandstheorie eine Theorie sowohl der möglichen als auch der unmöglichen Gegenstände sein. In seinen Spätwerken baute Meinong den Gegensatz von vollständigen und unvollständigen Gegenständen aus. In seinem umfangreichsten Werk "Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit, Beiträge zur Gegenstandstheorie und Erkenntnistheorie" (1915) wird Meinongs Lehre der Modalitäten und der Wahrscheinlichkeitsurteile dargelegt.

Meinongs Theorien führten teilweise zu heftigen Reaktionen. Die bedeutendste Kritik stammt von dem britischen Mathematiker, Philosophen und Nobelpreisträger Bertrand Russell (1872–1970), der sich gegen die Ontologie der unmöglichen Gegenstände wandte und diese durch seine eigene Theorie der bestimmten Beschreibungen zu ersetzen trachtete.

1889 heiratete Meinong, der selbst als erster Geiger in einem Streichquartett wirkte, die Cellistin dieses Quartetts, Doris Buchholz (1865–1940). In den Jahren seiner Erblindung wirkte sie als seine Vorleserin.

Der Nachlass von Alexius Meinong befindet sich in den Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Graz.

 

Werke (Auswahl):

Hume-Studien. Tl. 1: Zur Geschichte und Kritik des modernen Nominalismus. Tl. 2: Zur Relationstheorie. In: Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften (1877, 1882); Über philosophische Wissenschaft und ihre Propädeutik (1885); Zur erkenntnistheoretischen Würdigung des Gedächtnisses. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 10,1 (1886); Beiträge zur Theorie der psychischen Analyse. In: Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 6 (1893); Über Werthaltung und Wert. In: Archiv für systematische Philosophie 1,3 (1895); Über Annahmen (1902); Über Raddrehung, Rollung und Aberration. Beiträge zur Theorie der Augenbewegungen. In: Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 17 (1906); Über die Stellung der Gegenstandstheorie im System der Wissenschaften (1907); A. Meinong's Gesammelte Abhandlungen. Hrsg. und mit Zusätzen versehen von seinen Schülern. (1913–14); Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit. Beiträge zur Gegenstandstheorie und Erkenntnistheorie (1915); Über emotionale Präsentation. In: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse 183,2 (1917); Zum Erweise des allgemeinen Kausalgesetzes. In: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse 189,4 (1918); Philosophenbriefe. Aus der wissenschaftlichen Korrespondenz von Alexius Meinong mit Franz Brentano. 1876–1920, hrsg. von Rudolf Kindinger (1965). Gesamtausgabe, hrsg. von Rudolf Haller und Rudolf Kindinger (1969–1978).

 

Abkürzungsverzeichnis

Literatur:

NDB Bd. 16, S. 677–680.
ÖBL Bd. 6, S. 197f.
GdSG Bd. 4, S. 322f.
AEIOU.
DBE.
Haller, Rudolf (Hrsg.): Meinong und die Gegenstandstheorie – Meinong and the theory of objects. Amsterdam [u.a.]: Rodopi 1996. (= Grazer philosophische Studien. 50.1995.)

 

Autorin des Artikels:

Birgit Scholz, April 2011

 
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