Literatur- und kulturgeschichtliches Handbuch der Steiermark im 19. Jahrhundert online
Lexikon Musikverein für Steiermark

"Drei Freunde" von Josef Eduard Teltscher, 1827

Josef Eduard Teltscher: Drei Freunde:Johann Baptist Jenger, Anselm Hüttenbrenner und Franz Schubert, 1827

Quelle: Wikipedia

Impressum

Der 1815 in Graz als "Akademischer Musikverein" gegründete und 1817 in "Steyermärkischer Musikverein" umbenannte Musikverein (heute: Musikverein für Steiermark) ist einer der ältesten bis heute bestehenden Musikvereine.

Er geht auf die Initiative einer Vereinigung Grazer Akademiker zurück, für die zunächst das eigene Musizieren im Vordergrund stand. Bei den musikbegeisterten Dilettanten handelte es sich um Schüler des Lyzeums, die sich unter der Führung des Kuraten der Grazer Stadtprobstei, Johann Farbmann, einmal wöchentlich zu musikalischen Übungen trafen. Außerdem sollte jeden Monat eine musikalische Akademie abgehalten werden, zu der jedes Mitglied Freunde und Verwandte einladen durfte. Eine behördliche Anerkennung des Vereins erfolgte erst 1821, was u.a. daran lag, dass die studentische Herkunft seiner Mitglieder den Behörden verdächtig war. Zwar kamen die Mitglieder der Gründungsphase ausnahmslos aus dem akademischen Milieu, doch schlossen sich ihnen bald auch Musikliebhaber aus bürgerlichen Kreisen an. Die Verbindung zum Bürgertum stellte der damalige Geschichtsprofessor des Grazer Lyzeums, Julius Franz Schneller (1777–1833), her.

1816 hatte der Verein 67 Mitglieder, unter denen sich noch kein Berufsmusiker befand. Der Kreis der musikalisch aktiven Grazer wurde sukzessive erweitert. So waren etwa Ludwig van Beethoven (1770–1827) ab 1821 und Franz Schubert (1797–1828) ab 1823 Ehrenmitglieder des Steyermärkischen Musikvereins. Später kamen auch die "passiven Mitglieder" (Zuhörer) hinzu.

Das erste gedruckte Statut stammt aus dem Jahr 1828 und nennt u.a. die Einrichtung eigener Musikschulen "zur Vermehrung der Anzahl und höheren Ausbildung der musikalischen Kunstgenossen" als Ziel. Die musikalischen Lehranstalten des Vereins sollten Zöglingen aus der ganzen Steiermark offen stehen. 1816 wurde die Singschule eröffnet. Ab 1818 gab es eine Klasse für Gesang (unter der Leitung des Operntenors Johann G. Hiller, gest. 1840), ab 1819 für Holz- und Blechblasinstrumente (unter der Leitung von Anton Scholz und Josef Kratzky), für Kontrabass (unter der Leitung von Johann Weckerle, der auch Sologesang unterrichtete) und ab 1820 für Violine. Der erste Geigenlehrer war Eduard Hysel (1770–1841), der 1819 auch als erster Berufsmusiker die Leitung des Orchesters übernommen hatte und 1829–1831 artistischer Direktor des Musikvereins war. Sein bekanntester Schüler war der Geigenvirtuose und Violinkomponist Louis Eller (1820–1862). Ebenfalls 1820 wurde eine Celloklasse eröffnet, 1825 eine für Gitarre, 1829 für Generalbass, Orgelspiel und Choral. Die erste Klavierklasse wurde relativ spät, erst 1888, installiert und von dem Liszt-Schüler Karl Pohlig (1858–1928) geführt. Hinzu kamen Kompositions- und Dirigentenklassen. Wilhelm Mayer-Rémys (1831–1898) Theorieklasse stellte in den 1870ern und 1880ern das geistige Zentrum der Institution dar.

Wichtigstes Ziel der Schule war die Ausbildung der ausübenden Musiker sowie die Erziehung des musikalischen Nachwuchses. Zahlreiche berühmte Musikerinnen und Musiker wurden in der Schule des Musikvereins unterrichtet, darunter die Opernsängerin Amalie Materna (1844–1918), die Sängerin und Schauspielerin Marie Geistinger (1836–1903) und der Komponist Wilhelm Kienzl (1857–1941), der nicht nur durch seine Oper "Der Evangelimann" (1894), sondern auch als Komponist der inoffiziellen Hymne der Ersten Republik Österreich (zu einem Text von Karl Renner (1870–1950): "Deutschösterreich, du herrliches Land") in Erinnerung geblieben ist. Auch Hugo Wolf (1860–1903) besuchte für kurze Zeit die Vereinsschule. Die Ausbildung erfolgte lange Zeit kostenlos, erst 1869/70 wurde ein Unterrichtsgeld eingeführt.

Führende Persönlichkeiten des Grazer Musiklebens übten auch verschiedene Funktionen im Musikverein aus, wie etwa der bedeutendste steirische Komponist der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Anselm Hüttenbrenner (1794–1868), der 1824/25–1829 sowie 1831–1839 die künstlerische Direktion des Vereins innehatte, der Komponist Heinrich von Herzogenberg (1843–1900), die schon genannten Eduard Hysel und Wilhelm Kienzl, der 1879–1917 die musikalische Direktion übernahm.

Die Schule des Musikvereins spielte eine bedeutende Rolle für die öffentliche Musikausübung in Graz und kann als Vorläuferinstitution der heutigen Kunstuniversität angesehen werden. Aus der ab 1816 existierenden Schule des Musikvereins wurde 1920 das Konservatorium des Musikvereins, 1939 die Landesmusikschule und Staatliche Hochschule für Musikerziehung, 1945 das Landeskonservatorium, 1963 die Akademie für Musik und darstellende Kunst, 1970 die Hochschule für Musik und darstellende Kunst und schließlich 1998 die Universität für Musik und darstellende Kunst Graz.

Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zur Gründung mehrerer Gesangsvereine in Graz, woraus dem Musikverein, der durch musikalische Weltoffenheit geprägt war und der deutschnationalen Begeisterung der Gesangsvereine äußerst skeptisch gegenüberstand, eine gewisse Konkurrenz erwuchs. Während sich der Vorstand des Musikvereins, der vor allem um das Erbe der Klassiker und das Niveau der Aufführungen bemüht war, immer mehr aus Professoren zusammensetzte, zog es die Jugend zu den Gesangsvereinen. Dennoch kam es immer wieder zu musikalischen Kooperationen wie etwa zur Zusammenarbeit bei der Aufführung von Chorwerken. Eine wichtige verbindende Rolle spielte dabei der Flötenvirtuose und Volksliedbewahrer Jakob Eduard Schmölzer (1817–1886), ein Schüler Anselm Hüttenbrenners, der im Musikverein als Flötensolist debütiert hatte, bevor er sich dem Männerchorwesen zuwandte. In der Folge kam es zu zahlreichen personellen Verflechtungen zwischen den Grazer Chören und dem Musikverein.

Neben seiner Ausbildungsfunktion spielte der Steyermärkische Musikverein auch eine wichtige Rolle für das Konzertleben der Landeshauptstadt. In den ersten Jahren fanden "öffentliche Productionen" ausschließlich zu wohltätigen Zwecken statt, wobei die Vereinsmitglieder gegebenenfalls vom Personal der Grazer Oper verstärkt wurden. Alle ein bis zwei Monate fanden "Gesellschaftskonzerte" statt, daneben Wohltätigkeitsveranstaltungen und kirchenmusikalische Aufführungen. In der Frühphase wurden die Mitgliederkonzerte vor allem von einheimischen Interpreten bestritten. Ab 1870/71 zwang die Konkurrenz der Gesangsvereine den Musikverein zu einer attraktiveren Gestaltung seiner Konzerte. Das führte zu einer verstärkten Einbeziehung auswärtiger Musiker, was wiederum erste Anfänge einer Konzertbürotätigkeit nach sich zog. 1885 wurde der nach Prinzessin Stephanie (1864–1945), der Frau von Kronprinz Rudolf (1858–1889), benannte Stephaniensaal eröffnet, womit dem Verein ein ständiger Konzertsaal zur Verfügung stand. Als 1886 der Wagnerianer und betont deutschnational gesinnte Friedrich von Hausegger (1837–1899) in die Direktion des Musikvereins berufen wurde, kam es zur Krise: Sechs Vorstandsmitglieder legten aus Protest gegen den Sieg der Wagner-Anhänger ihre Funktion zurück.

Ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts fand das Grazer Musikleben zunehmend außerhalb des Musikvereins statt. Der Anschluss an die internationale Moderne wurde verpasst; so ging etwa die österreichische Erstaufführung der "Salome" von Richard Strauss (1864-1949) in der Grazer Oper ohne den Musikverein über die Bühne.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Musikverein für Steiermark neu konstituiert.

 

Abkürzungsverzeichnis

Literatur:

oeml Bd. 3, S. 1560f. [s.v. Musikverein für Steiermark]
oeml Bd. 2, S. 619f. [s.v. Graz]
Federhofer, Hellmut; Flotzinger, Rudolf: Musik in der Steiermark – historische Einleitung. In: Flotzinger, Rudolf (Hrsg.): Musik in der Steiermark. Katalog der Landesausstellung 1980. Graz: Styria 1980, S. 15–83, hier S. 64–68.
Staudacher, Ilse M.: Musik in Graz. In: Kirche – Bildung – Kultur. Mit Beiträgen von Gottfried Biedermann u.a. Graz: Eigenverl. der Stadt Graz 2003. (= Geschichte der Stadt Graz. 3.) S. 661–728, hier S. 683–688.
Die Geschichte des Musikvereins für Steiermark.
In: http://www.musikverein-graz.at/index.php?option=com_content&view=article&id=10&Itemid=17.

 

Autorin des Artikels:

Birgit Scholz, Juni 2011

 
Zum Bereich Musik   Zu den Projekten von LiTheS
  Hintergrundbild:
© DNY59 bei iStockphoto, 2005